Teil
I
"Eine Kleinigkeit kommt noch. Du wirst mir zum Abschluss das
Kind in den Arm legen und holst dir eine Handvoll Erde. Du solltest
sie jetzt schon vorbereiten, denn es könnte finster sein nachher.
Das Kind wird auch kalt haben und wir sollten es schnell einwickeln.
Wie gut, dass ich meinen Umhang mitgenommen habe! Du hast also die
Erde in der hohlen Hand und machst mit Wasser einen Brei daraus.
Du brauchst nur eine kleine Menge. Du rührst mit dem Wasser
des Lebens und der Mutter Erde diesen Brei und machst auf der Brust
des Kindes ein Kreuz. Das sind die vier Elemente, denen du das Kind
soeben vorgestellt hast. Außen herum machst du einen Kreis.
Es ist der Kreis seines Lebens, den es vollenden wird von seiner
Geburt an bis zu seinem Tode. Wirst du das alles so tun, wie ich
es dir gesagt habe, mein lieber Erik?"
"Ja, ich werde es so tun. Aber warum hast du vorher noch nie
darüber gesprochen?"
"Das weiß ich selber nicht. Habe ich nur nie daran gedacht
oder ist es wichtig, dass ich es dir hier an dieser Stelle sage
und kurz vor der Geburt? Vielleicht ist nur dieser heilige Ort der
richtige Platz, um diese Dinge zu besprechen. Es wird sicher einen
Grund geben, warum wir noch nie darüber gesprochen haben."
"Du wirst Recht haben. Es ist ein besonderer Tag heute, es
kommt mir so vor, als wäre die ganze Welt verzaubert. Wie ein
Traum ist das alles und doch gleichzeitig absolute Wirklichkeit.
Was kann realer sein als eine Geburt? Aber wie geht es dir, du hast
ziemliche Schmerzen. Solltest du nicht besser ruhen in den Pausen
zwischen den Wehen?"
"Ja, du hast Recht. Ich spüre schon deutlich, wie alles
nach unten drückt, es wird nicht mehr sehr lange dauern. Ich
hab dir auch alles gesagt, wir könnten jetzt ein wenig ruhen,
das viele Reden hat mich angestrengt. Ich werde jetzt still liegen
und mich konzentrieren auf das, was ich jetzt tun muss. Denk noch
einmal alles durch, damit du dann alles richtig machst."
"Was kann ich dir noch helfen?", fragt Erik besorgt. Er
merkt, dass meine Wehen inzwischen wirklich stark und schmerzhaft
sind. Ich will es auch nicht vor ihm verbergen, denn dann könnte
ich mich nicht öffnen und würde mich unnötig verkrampfen.
"Sei nur einfach da, das ist schon genug. Vielleicht kannst
du mich daran erinnern, mich zu lockern, wenn du merkst, dass ich
mich zu sehr verkrampfe, damit dann die Schmerzen nicht so groß
sind. Es ist wichtig, dass ich locker bin, was nicht ganz einfach
ist bei diesen krampfartigen Schmerzen. Aber wenn ich mich noch
zusätzlich verkrampfe, dann wird es nur noch schlimmer sein!"
Das viele Reden hat mich angestrengt. Ich schließe meine Augen,
umso ruhig wie möglich zu werden. Auch Erik ist ganz still
und sendet sehr viel Ruhe und Gelassenheit aus, was mir sehr gut
tut und ich bin dankbar dafür. Er sitzt ruhig neben mir und
hat seine Hand auf meinem Bauch, damit er jede Wehe mitempfinden
kann. Wir reden nichts mehr. Ich sehe der Sonne zu, wie sie sich
langsam dem Horizont nähert und denke eigentlich gar nichts
mehr. Meine Gefühle sind so stark mit dem Kind beschäftigt,
dass für Gedanken kein Raum mehr ist. Auch Erik ist jetzt nicht
mehr vordringlich in meinen Gedanken, aber ich spüre doch seine
Nähe und seine Unterstützung und ich bin froh darüber.
Plötzlich fällt mir doch noch etwas ein.
"Ich hätte fast etwas vergessen!" sage ich zu Erik.
"Die Nachgeburt muss begraben werden. Wenn es Nacht ist, wird
das schwierig sein, wenn du nichts vorbereitet hast. Grabe schnell
noch ein kleines Loch und lege Kiesel darum, die du dann oben darauf
legen kannst, damit nicht der Fuchs oder ein anderes Tier sie holen
kann."
Erik macht sich schnell an die Arbeit. Er sieht, dass es nun wirklich
nicht mehr lange dauern kann. Es folgt Wehe auf Wehe.
Ich muss immer schneller atmen. Die Luft bleibt mir weg in den Wehen.
In den kurzen Pausen zwischen den Wehen versuche ich, mich nicht
zu verkrampfen und ganz ruhig zu sein.
"Beeile dich, Erik! Komm wieder zu mir!"
Das Loch ist noch nicht sehr tief, aber es wird reichen. Erik wäscht
sich die Hände und kommt wieder zu mir. Ich ergreife seine
Hand und drücke sie im Schmerz der nächsten Wehen. Angst
kommt plötzlich über mich und ich spüre den kalten
Schweiß auf der Stirn. Erik redet mir leise zu, ich höre
nicht, was er sagt, aber seine Stimme beruhigt mich.
Wie lange liege ich schon hier in diesen Wehen und wie lange wird
es noch dauern? Die Sonne steht noch am Himmel. Vergeht denn die
Zeit nicht mehr? Ein flüchtiger Gedanke geht durch mein Gehirn:
zu Hause werden sie sich jetzt gerade zum Essen hinsetzen und sie
haben keine Ahnung, was hier geschieht! Aber die nächste Wehe
nimmt jeden Gedanken hinweg und es bleibt mir keine Zeit mehr für
irgendetwas anderes. Es sind kaum mehr Pausen, ich kann mich nicht
mehr lockern, es ist alles nur noch ein riesiger Krampf und Schmerz.
Ich schnappe nach Luft, spüre verschwommen, dass Erik meine
Hand hält und dass ich mich festkralle an ihm, sein Gesicht
schwebt über mir manchmal, ich muss pressen, drücken und
pressen, das Kind will heraus, es muss heraus, es wird gleich da
sein, ich spüre die Enge, die es überwinden muss, die
auch ich überwinden muss, pressen, pressen, heraus, ich spüre
den Kopf hineindrücken, noch ein großer Schmerz - und
dann spüre ich das Kind hinausgleiten. Ich schließe die
Augen und atme schwer. Aber sofort mache ich die Augen wieder auf.
Das Kind ist geboren! Welche Freude! Ich muss es sehen! Es ist da!
Erik legt es auf meinen Bauch. Er atmet tief durch. Ich sehe, er
ist erleichtert! Er lacht mich an. Er streicht über meine feuchte
Stirn und küsst mich. Ich bin erschöpft, aber ich lache
ihm zu, ich bin so froh und glücklich. Ich halte mein Kind
fest, ich betrachte es, es ist ein Junge, natürlich! Das war
ja keine Frage!
Ein wenig mache ich die Augen zu, um mich zu entspannen von der
Anstrengung. Lange kann ich aber nicht ruhen, es ist jetzt noch
vieles zu erledigen. Ich schaue auf die Sonne, sie berührt
fast den Horizont.
"Mach die Zeremonie, die Sonne scheint noch, es wäre schön,
sie noch vor der Sonne zu machen!"
Erik hat das Kind abgenabelt, so als hätte er es schon oft
getan und als wäre es die selbstverständlichste Sache
der Welt. Er hält den Kleinen an den Beinen hoch und der schreit
laut und kräftig. Er lebt und er sieht seine Mutter Erde! Er
hat erkannt, dass er geboren wurde und er wird das Leben annehmen,
stark und kräftig werden!
Da sehe ich etwas, was mein Herz vor Freude schneller schlagen lässt.
"Erik, schau den Mond an, er kommt gerade über den Felsen
hervor! Wir haben die Sonne und den Mond für unser Kind, was
für ein Segen!"
Es ist unfassbar. Es kommt ja nur sehr selten vor, dass Sonne und
Mond gleichzeitig am Himmel sind.
"Wir haben ein ganz besonderes Kind, Erik! Ein Sonnen- und
ein Mondkind gleichzeitig! Aber lass uns jetzt die Zeremonie weiter
machen!"
Ich stütze mich ein wenig auf, damit ich alles genau sehen
kann, was Erik macht.
Erik legt das Kind auf die Erde und ich sage die Worte:
"Mutter Erde, ein Kind ist geboren. Es soll Bodo heißen.
Wir bitten dich, es zu nähren und zu pflegen, bis es wieder
zurückkehrt zu dir. - Zu dir, Kind, spreche ich: Sieh hier,
das ist deine Mutter, die Erde, die dich ernähren wird, solange
du leben wirst, bis du eines Tages zu ihr zurückkehrst. Ehre
und achte deine Mutter und vergiss nie, dass du von ihr gekommen
bist und dass du ihr alles verdankst!"
Erik nimmt das Kind hoch und hält es der Sonne entgegen.
"Sieh hier, Vater Sonne", sage ich, "ein Kind ist
geboren. Es wird Bodo heißen. Es ist gewachsen durch deine
Energie, die du der Mutter Erde und uns allen spendest. - Und dir,
Kind, sage ich: Sieh hier, das ist dein Vater, die Sonne. Von dort
erhältst du alle Energie, er ist die Kraft, die dich zum Leben
erweckt hat! Vergiss nie, dass alles, was du bekommst, entstanden
ist aus der Energie der Sonne und der Energie der Mutter Erde, alles
ist entstanden aus der Liebe dieser beiden zueinander. Sie zeigen
dir, dass die Liebe das Größte ist!"
"Erik, halte das Kind auch dem Mond entgegen, der gerade aufgegangen
ist!"
Erik zeigt das Kind dem Mond und ich sage:
"Sieh her, Mond, wir haben ein Kind geboren. Es wird Bodo heißen.
Beschütze es auch in den Stunden der Nacht! - Und dir, Kind,
sage ich: Sieh hier, das ist der Mond, der das Licht der Sonne erhält.
Er ist ein Teil der Erde und ein Teil des Himmels, ein Zeichen für
die Ganzheit, für die Vollkommenheit, nach der wir alle streben
sollen. Ehre und achte den Mond als ein Symbol des göttlichen
Einsseins!"
"Geh jetzt zum Wasser, Erik", sage ich und er geht ans
Ufer und wäscht den Kleinen vorsichtig ab. Bodo schreit, aber
das Wasser ist nicht sehr kalt, es wird ihm nicht schaden. Sein
Protest ist ein Zeichen, dass er kräftig ist, sonst würde
er nicht so schreien! Ich sage schnell die Worte:
"Seht hier, Doana und ihr Geister des Wassers! Wir zeigen euch
dieses neugeborene Kind. Es wird Bodo heißen. Wir bitten euch,
dass ihr ihm das Leben erhalten möget, denn du, Wasser bist
der Träger des Lebens. - Und dir, Kind, sage ich: Sieh hier,
das ist das Wasser! Du kennst es schon, du hast es im Mutterleib
schon erlebt. Das Wasser erhält das Leben! Ehre und achte es
deshalb und erhalte es rein."
Erik hält jetzt das Kind dem Wind entgegen, zuerst in Richtung
Osten, dann nach Süden, dann nach Westen und dann nach Norden.
"Seht hier, ihr vier Winde, ein Kind ist geboren!", sage
ich. "Es wird Bodo heißen. Seid freundlich zu ihm und
gebt ihm die Luft zum Atmen, die es braucht. Lasst ihm die kalten
Winde nicht zu stark ins Gesicht wehen, damit es nicht den Mut zum
Leben verliert! - Und dir, Kind, spreche ich: Sieh hier, das sind
die Geister der Luft. Sie verbinden uns mit Allem. Deinen ersten
Schrei hat die Luft entgegen genommen und auch deinen letzten Seufzer
wird die Luft hinwegtragen und weitergeben an die Ewigkeit. Achte
die Luft und die Winde, sie sind heilig. Und dies sind die vier
Himmelsrichtungen: Der Morgen, wo die Sonne aufgeht und der Tag
beginnt. Der Süden, wo die Sonne am höchsten steht und
die Fülle des Lebens spendet. Der Westen, wo die Sonne untergeht
und der Tag sich neigt. Der Abend ist die Zeit der Entspannung,
wo du dich freuen kannst über dein Tagewerk. Schließlich
der Norden, die Zeit der Nacht, der Ort der kalten Winde, die dir
Furcht einflößen können. Aber sei stark, es kommt
wieder der Morgen und die Sonne wird wieder aufgehen! Du bist nicht
alleine, du hast deine Familie und die vier Geistelemente haben
dich freundlich aufgenommen! Wir alle lieben dich und du wirst alles
ertragen können, was an Mühsalen auf dich zukommen wird!"
Erik hat sich bei dieser Zeremonie einmal im Kreise gedreht, von
Osten über Süden, Westen und Norden. Er hat dem Kind auf
diese Weise die ganze Welt gezeigt, in der es leben wird, bis es
wieder in die andere Welt zurückkehren wird, reich an Erfahrungen
eines hoffentlich langen Lebens. Die ersten Erfahrungen hat es schon
gemacht: die Erfahrung, geboren zu werden, die Erfahrung der vier
Geistelemente, die Erfahrung, dass es Eltern hat.
Erik legt das Kind jetzt in meinen Arm und ich lege meinen Umhang
um es, damit es wieder warm hat. Eine Glückswelle geht durch
meinen Körper, ich habe mein Kind im Arm und es hat die Zeremonien
erhalten, es ist alles in Ordnung! Aber Erik muss noch das Zeichen
machen. Er hat schon den Erdbrei in der Hand und er malt das Kreuz
auf die Brust des Kindes. Die beiden Balken, das Prinzip der Polarität,
das männliche und das weibliche Element. Die beiden Balken
schneiden sich in der Mitte, der Kern des Lebens ist dieser Schnittpunkt.
Die vier Enden sind die vier Geistelemente, die Welt, die das Kind
soeben kennen gelernt hat. Dann macht Erik den Kreis, der das Kreuz
umschließt, den Kreis des Lebens. Die Unendlichkeit ist dieser
Kreis, der Geist, das göttliche Element, das ewige Leben. Der
Kreis umschließt alles und alle und Erik legt seine Arme um
mich herum und er umschließt mich und das Kind und wir sind
eine richtige Familie. Kann es noch ein größeres Glück
auf Erden geben?
Erik nimmt noch ein wenig von dem Erdbrei und er macht das Zeichen
auch auf meine Brust und ich mache das Zeichen auf seine Brust,
wir sind alle drei verbunden in diesem heiligen Zeichen!
"Sage ihm seinen Namen, Erik!", sage ich und er flüstert
ihm ins Ohr:
"Du sollst Bodo heißen, unser kleiner Sohn! Werde stark
und kräftig und ein glücklicher Mensch!"
Beide haben wir dem Kleinen unsere Hände auf seinen kleinen
Kopf gelegt, um ihm unsere guten Wünsche für sein Leben
mitzugeben.
Noch einmal spüre ich ein paar Wehen und die Nachgeburt wird
ausgestoßen. Erik vergräbt sie in dem vorbereiteten Loch,
dann wäscht er sich und er befeuchtet ein Tuch und reinigt
auch mich, soweit es möglich ist. Er macht unser Grasbett sauber
und legt noch ein paar Büschel trockenes Gras obenauf.
Inzwischen ist es fast dunkel. Nur noch ein leichter Tagesschimmer
liegt über dem Land, aber der Himmel ist noch hell und leicht
rot gefärbt im Westen. Erik legt sich zu mir. Nein, zu uns,
denn wir sind ja jetzt drei! Ganz still ist es, nur das Wasser murmelt
leise seine ewige Melodie. Hin und wieder ist eine zarte Vogelstimme
zu hören. Es ist nicht mehr die Jahreszeit des Vogelgesangs.
Die Nacht breitet sich aus, eine feierliche Stille ist rings um
uns. Ich habe mein Kindchen an der Brust und werde ganz unbeschreiblich
müde. Warm und weich ist der Kleine, ich kann ihn gar nicht
genug ansehen und bewundern. Auch Erik schaut glücklich das
Kind an und streichelt es sanft über die Wange. Auch mich streichelt
er und wir sind alle drei die glücklichsten Menschen auf der
Welt!
Es ist Nacht geworden, nur noch der Mond erhellt jetzt die Natur.
Deutlich kann ich die Bäume, die Felsen auf der anderen Seite
des Flusses und die Doana erkennen. Der Mond spiegelt sich in ihrem
Wasser, das Ebenbild des Mondes zittert und bewegt sich auf den
unruhigen Wellen. Eine entspannende Müdigkeit überkommt
mich. Ich kann nur noch ein kleines Lächeln meinem lieben Erik
schenken und dann bin ich auch schon eingeschlafen.
Mitten in der Nacht wache ich auf. Ich liege immer noch genau so,
wie ich eingeschlafen bin, auf Eriks Arm, das Kind an meiner Brust
schläft friedlich. Erik ist wach. Er schaut mich lächelnd
an und drückt mich ein wenig an sich. Der Mond ist so hell,
dass wir alles sehen können. Er ist inzwischen ganz hoch am
Himmel, es dürfte Mitternacht sein. Kleine Wölkchen ziehen
am Himmel entlang, sie bilden manchmal einen Hof um den hellen Mond.
Ich habe mein Kind im Arm, ich kann das Glück nicht beschreiben!
Es ist so warm und gemütlich in Eriks Arm, wie gut haben wir
es doch! - Da fällt mir auf, dass Erik immer noch genau in
der gleichen Haltung sitzt, seit ich eingeschlafen bin vor wer weiß
wie vielen Stunden!
"Du armer Mann, du wirst doch nicht stundenlang hier gesessen
sein, ohne dich zu bewegen? Du musst doch schon ganz steif sein!"
"Ja, allmählich kann ich mich nicht mehr rühren!"
Er steht auf und bewegt seine steifen Glieder. Er schüttelt
sich und springt herum, damit er wieder locker wird.
"Ich hab dich wahrscheinlich aufgeweckt, das tut mir leid.
Aber ich konnte nicht mehr sitzen und musste mich bewegen."
"Es ist kein Grund, dich zu entschuldigen! Du bist der beste
Mann, den ich mir denken kann. Du hast mir so sehr geholfen, und
dann hast du auch noch die Zeremonien gemacht, so als wärest
du ein Kelte. Es ist wunderbar, dass du meine Götter und Geister
auch ehren kannst."
"Es sind nicht deine Götter! Die Götter sind für
alle Menschen da. Einen Gott kann man nicht besitzen. Es ist eher
so, dass die Götter uns besitzen. Wenn auch ich die Götter
ehre, die du ehrst, dann ist das doch ganz natürlich, denn
du bist ja meine Frau und wir gehören zusammen."
"Ach Erik, mein Lieber, es ist so schön mit dir! Komm
her, leg dich zu uns und lass uns schlafen, die Nacht ist erst halb
vergangen."
Wir kuscheln uns wieder eng zusammen auf unserem Grasbett. Es ist
herrlich bequem und sogar warm. Unser kleiner Sohn liegt zwischen
uns und ich bin so froh, dass wir jetzt eine richtige Familie sind!
Ich bin so glücklich, dass ich dieses Kind habe, das ich in
Liebe empfangen habe und das ich in der gleichen Liebe zusammen
mit Erik auf die Welt gebracht habe. Ich weiß, dass wir heute
das Band, das uns verbindet, noch fester geflochten haben und dass
wir diese Erlebnisse nie mehr vergessen werden, solange wir leben
werden und so alt wir auch werden mögen! Ich werde wieder müde
und die Wärme, Eriks Nähe und das Kind an meiner Brust
machen mich so entspannt, dass ich langsam wieder in einen erholsamen
Schlaf hineingleite.
Beim ersten Morgenlicht erwache ich. Erik schläft noch fest.
Ich halte mich noch ganz ruhig, damit ich ihn nicht störe.
Er braucht den Schlaf, er hat die halbe Nacht nicht geschlafen und
mich im Arm gehalten. Ich betrachte den Kleinen, streichle ihn sanft
über die Backen, nehme seine kleinen Hände in die Meinen,
seine Füßchen, den ganzen kleinen Kerl streichle ich.
Ich kann es noch gar nicht fassen, dass dieses kleine Wesen mein
Kind ist, ein Teil von mir und ein Teil von Erik. Auch all unsere
Vorfahren sind in ihm, er wird die lange Reihe fortsetzen, hinein
in die Zukunft!
"Bodo!" flüstere ich in sein Ohr. "Du wirst
Bodo heißen, nach deinem Urgroßvater! Ich habe ihn geliebt,
du sollst auch so ein weiser und lieber Mensch werden wie er! Wir
werden dich lieben, dein Vater und ich. Und auch deine Großeltern,
deine Tanten und Onkel, alle werden dich lieben. Wir freuen uns,
dass du gekommen bist, mein kleiner Bodo, mein Liebling!"
Das Kind wird unruhig. Es spürt wohl, dass ich wach bin. Ich
lege ihn an die Brust. Wird er schon trinken? Tatsächlich saugt
er ein wenig. Das Gefühl des Saugens geht durch meinen ganzen
Körper. Es ist wunderbar. Vorsichtig halte ich den kleinen
Kopf und freue mich, dass er schon trinkt. Es ist zwar noch nicht
so richtig Ernst damit und noch mehr ein Versuch, aber ich sehe
schon, dass ein wenig Milch aus der Brustwarze tropft. Die Brüste
sind gespannt und voll geworden über Nacht. Ich werde das Kind
gut ernähren können, obwohl meine Brüste nicht sehr
groß sind. Es wird genug sein, ich spüre es, ich bin
ganz voll und bereit.
Ich bin so mit dem Baby beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkt
habe, dass Erik aufgewacht ist.
"Der kleine Kerl trinkt ja schon!"
"Ja, schau nur, wie er schon saugt! Aber ich wollte dich nicht
aufwecken, du hast noch mehr Schlaf verdient!"
"Schlafen kann ich immer noch, jetzt ist es erst einmal Morgen,
ein neuer Tag beginnt, der erste Tag zu dritt! Die Nacht ist vorüber,
es ist keine Zeit mehr zum Schlafen! Aber es war eine herrliche
Nacht, nicht wahr! Die schönste Nacht meines Lebens!"
"Ja, es war eine wunderbare Nacht! Ein wirkliches Wunder ist
geschehen, wir haben einen Sohn bekommen!"
"Wir haben ihn zusammen geboren, nicht wahr? Es war wunderbar!"
"Es war wunderbar und es ist immer noch wunderbar. Es ist aber
auch wunderbar, dass wir beide uns so gern haben. Auf diese Weise
ist es möglich geworden, dass wir das Kind tatsächlich
hier unten zusammen geboren haben. Ohne unsere Liebe wäre das
alles nicht möglich gewesen. Ohne dich hätte ich das Kind
hier nicht auf die Welt bringen können. War es nicht richtig,
dass wir hier ganz alleine waren?"
"Natürlich war es richtig, du hast schon gewusst, was
du tun musstest. Der weibliche Instinkt hat dir gezeigt, was zu
tun ist!"
"Ich glaube, es war die Göttin, die Morrigan! Wenn man
sich ihr anvertraut, dann sagt sie einem, was man zu tun hat. Aber
schau nur deinen Sohn an, ist er nicht ungewöhnlich hübsch?"
"Natürlich ist er hübsch. Er wird so hübsch
werden wie du!"
"Du alter Schmeichler!" sage ich und wir lachen und freuen
uns über unser Glück, über unser Kind, über
den schönen Tag und über unsere Liebe.
Ich habe Hunger bekommen, wie gut, dass wir noch etwas von dem Essen
übrig behalten haben. Erik isst nur einen ganz kleinen Bissen,
den Rest gibt er mir. Ich muss wieder zu Kräften kommen, sagt
er. Viel zu essen ist es ohnehin nicht, gerade genug, um den allergrößten
Hunger zu stillen.
"Nun kommen die Sorgen des Alltags!", sagt Erik. "Das
heißt im Moment: Wie kommen wir nach Hause? Daran haben wir
gestern gar nicht gedacht! Du wirst noch ziemlich schwach sein,
du wirst nicht ohne weiteres den weiten Weg marschieren können!"
"Es wird nicht ganz einfach sein! Aber was bleibt mir anderes
übrig. Wir müssen es versuchen. Mit vielen Pausen zwischendurch
wird es schon gehen!"
"Sollte ich nicht nach Hause gehen und ein Pferd holen und
etwas zu Essen? Ein Wagen wäre natürlich besser, aber
die Wege hier sind ja nur Trampelpfade, da gibt es kein Durchkommen
mit einem Wagen."
"Nein, mit einem Wagen geht es nicht. Aber auf ein Pferd will
ich mich jetzt auch nicht setzen. Es gibt keine andere Möglichkeit,
als zu Fuß zu gehen! Ich kann es, ich bin sicher! Lass es
uns einfach ausprobieren!"
Erik nimmt das Kind auf den Arm. Eigentlich würde ich es ja
lieber selber tragen, aber ich sehe ein, dass ich ohne Kind besser
gehen kann. Ich bin wirklich recht schwach und meine Zuversicht
kommt nun doch ein wenig ins Wanken.
Wir machen uns vorsichtig auf den Weg. Das schlimmste Stück
ist ja gleich am Anfang der steile Aufstieg. Wir schicken uns gerade
an, nach oben zu klettern, da ruft Erik:
"Schau, da kommt ein Reiter!"
Tatsächlich, ein Reiter kommt den Berg herunter, uns entgegen.
Der Vater ist es, Graswolf! Er wird sich Sorgen gemacht haben und
hat sich auf den Weg gemacht, uns zu suchen!
Wir winken und rufen. Er sieht uns, winkt auch und kommt so schnell
wie möglich den steilen Hang auf uns zu.
Als er uns sieht, mit dem Kind auf dem Arm, da fällt er fast
vor Schreck und Überraschung aus dem Sattel!
"Das kann doch nicht wahr sein!", ruft er. "Das gibt
es doch nicht! Ihr zwei seid doch die allerverrücktesten Menschen,
die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe!"
Aber er lacht über das ganze Gesicht, springt vom Pferd und
umarmt uns und ich sehe, dass er ganz aus dem Häuschen ist
vor Freude, denn eine Umarmung von Graswolf, das bedeutet schon
etwas!
Erik hält ihm das Kind hin:
"Du bist Großvater geworden, es ist ein Junge!"
Graswolf ist froh, dass alles gut gegangen ist und dass die Sorgen,
die er sich gemacht hat, unbegründet waren.
"Aber das muss ich schon sagen: ihr seid ein verrücktes
Paar. Da verschwindet ihr einfach und sagt, ihr macht einen Spaziergang
und dann kommt ihr mit einem Kind zurück! Jetzt bist du Großvater,
es ist ein Junge! Wir haben schnell das Kind geboren an der Doana,
das macht man jetzt so! Und ich alter Großvater muss "ja"
zu allem sagen und mich freuen! Ich sitze herum daheim, kann die
Nacht nicht schlafen und mache mir die größten Sorgen!
Ich renne im Haus hin und her und weiß nicht, wo ich euch
mitten in der Nacht suchen soll! Dann finde ich euch hier, weit
weg von zu Hause und ihr kommt mir mit einem Kind entgegen und ihr
tut so, als wäre alles ganz normal und ich bin plötzlich
Großvater! Es ist anscheinend ganz normal, dass man zum Fluss
geht, um sich dort sein Kind abzuholen und dann spaziert man gemütlich
wieder nach Hause und sagt dem alten Vater: wir haben ein Kind abgeholt
am Fluss, jetzt bist du Großvater!"
Er hat es lachend gesagt, aber wir hören schon heraus, dass
er sich große Sorgen gemacht hat. Der frischgebackene Großvater
darf das Baby auf den Arm nehmen und gebührend bewundern und
jetzt kommen wir uns tatsächlich selbst ein wenig ungewöhnlich
vor. Es tut uns leid, dass wir dem armen Vater eine so unruhige
Nacht bereitet haben und wir versuchen zu erklären, wie alles
gekommen ist. Ich glaube, der Vater nimmt es uns auch nicht übel,
er ist so froh über seinen Enkel und dass alles gut abgelaufen
ist, so dass er seine Sorgen schnell wieder vergisst.
Wir sehen ihm an, wie erleichtert er ist und wie sehr er sich freut
über den kleinen Bodo.
Jetzt kommt für mich der schwierigste Teil, der steile Aufstieg.
In diesem Augenblick glaube ich sogar, dass mir das mehr Mühe
bereitet, als die ganze Geburt gestern. Oben muss ich erst einmal
im Schatten eines Baumes ausruhen. Wie leichtsinnig bin ich gestern
noch hier hinunter gegangen! Ich erinnere mich daran, dass ich gesagt
habe: es sind ja nur zweihundert Schritte! Jetzt kam es mir wie
eine Meile vor!
Der Weg durch den schattigen Wald und auf den ebenen Wegen ist zum
Glück etwas leichter. Trotzdem müssen wir oft Pausen einlegen
und rasten. Bei einer solchen Pause schaut mich der Graswolf gedankenverloren
an und sagt:
"Ach, wenn das meine Frau noch erlebt hätte!" Er
lässt traurig seinen Kopf hängen.
Da wird mir auf einmal bewusst, wie schlimm meine Schwangerschaft
gewesen sein muss für ihn, wie viele Ängste hat er wohl
ausgestanden, dass es wieder so kommen könnte, wie bei seiner
Frau. In meiner Freude und der Erwartung auf das Kind war ich so
blind, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass er sich Sorgen gemacht
hat. Er tut mir so leid jetzt noch nachträglich! Die Trauer,
die gerade über ihn gekommen ist, als er an seine Frau hat
denken müssen, ergreift meine Seele. Ich drücke seine
Hand zum Zeichen dafür, dass ich ihn verstehe. Er schaut mich
an und ich sehe, dass seine Augen schimmern, er hat mit den Tränen
zu kämpfen, der alte Graswolf.
"Es ist alles gut, Claudia", sagt er. "Ich bin ja
so froh, dass alles gut gegangen ist und dass wir nicht mehr warten
müssen!"
Der arme Graswolf! Über mein eigenes Glück habe ich vergessen,
was er mitgemacht hat!
"Du wirst ein guter Großvater sein, Graswolf! Hoffentlich
bist du nicht beleidigt, weil wir den kleinen Bodo nicht nach dir
benannt haben. Aber dem nächsten Sohn werden wir einen Namen
nach dir geben, vielleicht Wolfram, was meinst du?"
"Ho ho!" ruft Graswolf. "Kaum ist einer da, wird
schon der nächste geplant! Muss ich den dann auch am Fluss
abholen?"
Wir lachen alle und die traurige Stimmung ist sofort wieder verflogen.
Die Zukunft liegt vor uns und die Zukunft ist unser kleiner Bodo!
Die beiden Männer stützen mich wieder, helfen mir auf
und wir machen uns wieder auf den Weg und irgendwann sind wir schließlich
doch zu Hause. Luitgard und Heribald sind ganz aufgeregt und sie
können sich gar nicht vorstellen, dass wir einfach einen Spaziergang
machen und mit einem Kind zurückkommen! Die Luitgard ist ganz
verrückt mit dem Kleinen. Sie würde ihn am liebsten immer
auf dem Arm halten!
Aber dann spricht Erik ein Machtwort und schickt mich ins Bett.
Ich leere noch schnell einen großen Becher Milch und esse
eine ordentliche Portion kalten Braten und Brot und dann legen wir
uns alle drei ins Bett. Auch Erik ist müde von der anstrengenden
Nacht und ich kann mich kaum mehr auf den Beinen halten. Erik bittet
noch seinen Bruder, jemanden nach Beugenheim zu schicken um die
Nachricht von der Geburt zu überbringen. Viel Zeit zum Schlafen
werden wir nicht haben, denn wie ich meine Leute kenne, werden sie
heute noch hier auftauchen!
Ich freue mich, dass Erik an alles denkt, sogar an meine Verwandten.
Er ist doch ein umsichtiger und lieber Ehemann! Und jetzt ist er
sogar noch Vater! Und ich bin eine richtige Mutter! Ja, eine richtige
Mutter mit einem richtigen Kind! Ich nehme es an die Brust und mit
diesen Gefühlen und Gedanken schlafe ich ein, im Arm des liebsten
Mannes, den es gibt, mit dem liebsten und hübschesten Kind
an der Brust! Im Hinüberdämmern in den verdienten Schlaf
ziehen nochmals schattenhaft die Bilder der vergangenen Nacht an
mir vorbei, ich sehe Erik die Zeremonie machen, das Kreuz auf unsere
Brust malen und dann sehe ich den Mond und das Glitzern auf dem
Wasser und die Stille der Nacht um mich und dann schlafe ich endgültig
fest ein.
Ich träume vom Mond und den Sternen, von der Sonne und von
den vier Winden. Vom Wasser träume ich und von der Mutter Erde.
Es sind Geister, die herbeikommen und mein Kind bewundern. Sie bringen
alle einen Stein, den sie in die Wiege von Bodo legen als Sinnbild
für ihre guten Wünsche. Die vielen Sterne kommen und sie
glitzern lustig und auch der Mond sieht so gemütlich und lustig
aus. Er hat eine Zipfelmütze auf dem Kopf und die Bommel daran
schwingt immer hin und her. Die Luftgeister sind kaum zu sehen,
sie sind ganz durchsichtig und nur schemenhaft sichtbar. Der Wassergeist
hat einen grünen Bart aus Wasserpflanzen und das Wasser tropft
heraus und macht die ganze Stube nass. Die Mutter Erde ist geschmückt
mit Blumen, sie lacht und freut sich wahrscheinlich am meisten über
das Kind. Ihre Brüste sind voll so wie meine, sie muss ja uns
alle nähren, unsere gute Mutter Erde. Ich sehe deutlich, wie
die Milch heraustropft und ich spüre auch, dass meine Brust
zum Platzen voll ist. Ich streiche mit der Hand darüber und
spüre, wie prall sie ist. Meine Hand wird feucht von der Milch,
die herausrinnt.
Ich wache auf. Tatsächlich, meine Hände sind feucht und
klebrig von meiner Milch. Ich freue mich, dass die Geister hier
waren und dem Kind ihre guten Wünsche gebracht haben. Erik
schläft fest. Auch ich bin immer noch müde. Ich mache
die Augen wieder zu und versuche, noch einmal einzuschlafen. Bald
werden die Verwandten kommen und sie werden ebenfalls ihre Wünsche
bringen, genauso wie die Geister. Ich döse noch vor mich hin
und wieder erscheint das Bild der Doana vor mir. Ich höre sie
leise rauschen. Ich blinzle ein wenig, um sie genauer zu sehen,
meine geliebte Doana.
Aber was ist jetzt geschehen? Sie sieht ganz anders aus als sonst.
Ich richte mich auf, um sie genauer zu sehen. Warum liege ich eigentlich
auf einer Wiese im Gras? Wo ist mein kleiner Bodo und wo ist Erik?
Mein Fahrrad liegt neben mir, ich bin wohl mit dem Rad hierher gekommen.
Aber wo um alles in der Welt ist Erik geblieben und wo ist mein
Kind?
Ich brauche ein Weile, um ganz zu mir zu kommen. Ich bin eingeschlafen
auf der Wiese. Aber was ist alles geschehen inzwischen! All diese
Bilder ziehen wieder an mir vorbei. Der Weg hinunter zur Doana,
die Wehen, die Geburt, zusammen mit Erik habe ich ein Kind geboren
am Fluss, ganz alleine, es war wunderschön! Die verzauberte
Nacht steht wieder vor mir, der glitzernde Mondschein auf dem Wasser,
die Stille, die weißen Felsen in der Ferne, alles ist wieder
gegenwärtig. Ich halte mein Kind im Arm, ich gebe ihm die Brust,
ich spüre seine Wärme, den kleinen Körper, sein Strampeln,
seinen Schlaf, den Frieden, die Ruhe. Erik ist bei mir, er umschließt
mich mit seinen Armen, ich umschließe das Kind, wir sind glücklich!
Ich schaue wieder auf den Fluss, ich bin allein. Tränen füllen
meine Augen, sie rinnen in Bächen über meine Wangen, ich
bin so traurig und niedergeschlagen! Ich hatte so viel Glück
erfahren, ich hatte mein Kind im Arm, ich hatte einen liebenden
Mann! Warum muss ich wieder in diese einsame Welt zurückkehren?
Wie soll ich dieses Leben ertragen, da ich doch hineinsehen durfte
in ein anderes Leben, ein Leben voll von Liebe, ein Leben mit einer
Familie, ein Leben, das Sinn macht, auch wenn es "nur"
eine Geburt war, die diesen Sinn des Lebens gab. Es war das Weitergeben
des Lebens, das Hineinreichen in die Zukunft aus der Vergangenheit
heraus, das Hineinreichen in die Ewigkeit. Wie soll ich leben ohne
Mutter, nicht nur ohne meine leibliche Mutter, auch ohne die Mutter
Erde!
Ich lege mich auf den Bauch und versuche, die Erde zu spüren
und frage mich, ob sie immer noch unsere Mutter ist! Ist sie noch
die Mutter Erde, spüre ich ihre göttliche Kraft? Spüre
ich noch immer, dass ich verbunden bin mit ihr?
Dann kommen wieder drängende Fragen: Wie werde ich die Zukunft
ertragen? Wie wird es weitergehen mit dieser anderen Claudia? Wird
sie noch mehr Kinder bekommen? Sie wird älter werden, eines
Tages wird sie eine alte Frau sein! Eines Tages wird sie auch sterben
und ich werde das alles miterleben! Wie soll ich das aushalten?
Es kommt alles in so kurzer Zeit! Werde ich in ein oder zwei Monaten
schon ihren Tod miterleben? Wird auch Erik sterben? Nein, er darf
nicht sterben, er ist doch mein Mann, ich brauche ihn!
Ich werfe mich wieder auf die Erde und meine Tränen laufen
aus mir heraus und benetzen die gute Mutter Erde, von der ich gar
nicht genau weiß, ob ich sie eigentlich immer noch als Mutter
betrachte, ob ich immer noch das Gefühl der Dazugehörigkeit
habe. Ich weine so, dass ich glaube, meine Tränen laufen bis
hinein in die Donau, in meine Göttin Doana! Sie werden sich
mischen mit dem Wasser der Donau, dem Fluss des Lebens! Sie werden
dahinfließen und das Leben erhalten, meine Tränen! Aber
mir ist gar nicht zum Leben zumute, viel lieber würde ich sterben.
Allmählich werde ich ruhiger. Die Tränen hören auf
zu fließen, ich bin leer geweint. Aber immer noch gehen all
die Fragen in meinem Kopf herum. Wie soll das alles nur weitergehen?
Ich weiß es nicht, ich kann diese Fragen nicht beantworten.
Ich weiß nur, dass ich traurig bin und einsam.
Lange sitze ich noch im Gras, der Tag geht zu Ende, die Sonne verschwindet
hinter dem Berg und der Mond geht auf, so wie bei der Geburt meines
Kindes. Alles ist leer geworden in mir, ich habe keine Gedanken
mehr. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann einmal nach Hause
muss. Irgendwie komme ich in meine Wohnung, ohne recht zu wissen,
wie! Ich liege im Bett und fühle mich so erschöpft, als
hätte ich tatsächlich soeben ein Kind geboren. Nur das
wunderbare Glücksgefühl ist nicht da. Statt dessen eine
trostlose Traurigkeit und Leere. Schließlich lässt mich
diese Leere hineinsinken in einen schweren und traumlosen Schlaf.
|