Das fachliche wie populäre
Interesse wird meist von zwei gegensätzlichen
Motiven geleitet: Es schwankt zwischen Abscheu vor dem
unvorstellbaren Unrecht, welches den wegen angeblicher
Hexerei angeklagten, gefolterten und hingerichteten Frauen und Männern
durch ihre nächsten Mitmenschen angetan worden
war, und zwischen Faszination, ausgelöst durch die
geheimnisvolle, okkulte Welt des Hexenglaubens mit seinen
Imaginationen von magischen Ritualen, nächtlichen Flügen,
orgiastischen Feiern und dem Zusammentreffen mit dem Teufel. Die Flut
an Publikationen, welche zu diesem provozierenden Sujet sowohl seitens der
Wissenschaft als auch in Gestalt historischer Romane sowie pseudo-wissenschaftlicher
Literatur erschienen ist, bleibt auch für Spezialisten
kaum zu bewältigen. Die Veröffentlichungen
der modernen interdisziplinären Hexenforschung kommen
gemeinsam mit Wiederabdrucken längst überholter ›Hexenliteratur‹ auf
den Markt.
Nicht weniger intensiv befassen sich esoterische
und neuheidnische Zirkel mit den vermeintlichen Hexen
der Vergangenheit. Gleichwohl überschneiden sich diese
beiden Rezeptions-, Reflexions- und Diskurskreise kaum, "Fachleute"
und "Laien"
kommen nicht miteinander ins Gespräch und so werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse
von letzteren in der Regel nur interessengeleitet aufgegriffen, meistens jedoch völlig ignoriert oder abgelehnt.
Das öffentliche Interesse am Thema "Hexen" zeigt sich
darüber hinaus durchaus widersprüchlich und
spröde. Einerseits bietet
es eine Plattform zur Präsentation neuester
Ergebnisse der wissenschaftlichen Erforschung der Hexenverfolgungen,
sei es in stets gut besuchten Vorträgen oder Ausstellungen,
sei es in den Printmedien, in Radio- und TV-Sendungen, andererseits
wird das Bemühen um eine differenzierte Darstellung
des vielschichtigen Phänomens nicht selten konfrontiert
mit zählebigen Gemeinplätzen, längst überholten
Fehlinformationen und Halbwahrheiten eines trivialen,
sich hartnäckig jeder Aufklärung verweigernden Geschichtsbewusstseins,
in dessen Zentrum ein klischeehaftes Verschwörungsszenario
lauert: Demzufolge seien Millionen oder Hunderttausende
(genau legt man sich nicht fest) Frauen, zumeist Hüterinnen magisch-volkstümlichen
Wissens um Heilkunst, Fruchtbarkeit und Geburtenkontrolle,
von "der Kirche" und "dem Staat" ausgerottet
worden, um damit die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft
zu disziplinieren, mit ihnen auch ihre Kenntnisse um Verhütung
und Abtreibung auszurotten und - fast nebenbei - die gelehrten
männlichen Ärzte von lästiger
Konkurrenz zu befreien. Gelegentlich wird auch behauptet, es habe tatsächlich
einen real
existierenden, archaisch-heidnischen Hexenkult um einen gehörnten
Gott gegeben, einen Kult, der die Christianisierung überlebt
und erst in den frühneuzeitlichen Jahrhunderten ausgetilgt worden sei.
Den Verteidigern dieser populären, auch durch penetrante Wiederholung
nicht beweisbar werdenden Fehldeutungen bleibt meist
unbekannt, dass die Wurzeln dieser Geschichtsklitterung
bis zu Jakob Grimm und seinem Freund, dem französischen
Nationalhistoriker Jules Michelet, reichen. Beide suchten nach Zeugnissen
einer volkstümlichen, vorchristlichen Vergangenheit
und haben einfach die materielle Existenz von Hexen behauptet
und in ihnen entweder Priesterinnen, Trägerinnen
einer wahrhaft germanischen Religion (Grimm) oder heidnische, mit uralten Heilkünsten ausgestattete Ärztinnen
des einfachen Volkes (Michelet) sehen wollten, die unbarmherzig
von einer 'Männer-Kirche' verfolgt worden seien -
wobei die "Erkenntnisse" der ansonsten
verdienten Wissenschaftler weniger auf exaktem Quellenstudium,
als vielmehr auf "erahnter", intuitiver Geschichtsschreibung
beruhten.
Viele Gründe
sind wohl verantwortlich dafür, dass diese
längst differenzierten
und korrigierten Fehlsichten immer wieder in Diskussionen
bei Lehr- und Vortragsveranstaltungen, in Ausstellungskommentierungen
oder bei Presseinterviews auftauchen. Zum einen haben
Verschwörungsszenarien
schon seit jeher den Vorzug, leichtverständliche,
bereits existierende Vorurteile bestätigende Erklärungen
für komplexe Vorgänge
anzubieten. Zum anderen ist es für ein interessiertes,
jedoch mit wissenschaftlich-kritischen Aneignungsmethoden
nicht vertrautes Publikum ausgesprochen schwierig, aus der
medialen Flut einschlägiger, oft nur vermeintlicher
Informationsangebote, das zuverlässige, mit modernen, kritischen
Methoden der Quellenanalyse erarbeitete Angebot herauszufiltern.
Im folgenden sollen deshalb einige der gängigsten Klischees,
Vorurteile und Fehlsichten, die im Zusammenhang mit der
frühneuzeitlichen Hexenverfolgung immer wieder thematisiert werden, aufgegriffen und geklärt
werden.
Erste Fehlsicht: "Die Hexenverfolgungen
fanden im 'finsteren' Mittelalter statt"
Tatsächlich reichen die geistigen Wurzeln des Hexenglaubens
in die "mittelalterliche" Zeit zurück. Doch beruhen
die Nachrichten über
frühe "Hexenverfolgungen" in Toulouse und Carcassone
- jüngst
noch einmal brav in einem SPIEGEL-Artikel wiederholt
(44, 2005, S. 172) - auf einer puren Fälschung,
ausgeheckt im Jahr 1829 von dem französischen Berufsschriftsteller
Etienne-Léon de Lamothe-Langon. Das Delikt
der Hexerei, bestehend aus den Vorwürfen
Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug, Teilnahme
am Hexensabbat sowie Planung und Ausführung von Schadenzaubern, und
das Fahndungsbild der landschädlichen Hexe entstanden jedoch
erst um 1400, wobei die Teufelsdiener nicht als "Einzeltäter",
sondern stets als Mitglieder einer geheimen, zerstörerischen Sekte verstanden
wurden.
Hexerei galt eindeutig als ein "Bandendelikt",
als eine gegen Gottes Schöpfung gerichtete Verschwörung
unzüchtiger, gotteslästerlicher,
den Teufel anbetender Häretiker - und unterschied
sich damit grundlegend von älteren Vorstellungen,
nach denen einzelne Menschen mit magischen Fähigkeiten
Heil-.
Liebes- und Schadenzauber ausführen konnten.
Erste Verfolgungen der als neu gedachten "Hexenketzersekte" sind
nach 1430 vor allem in den Landstrichen um den Genfer
See (Herzogtum Savoyen, Piemont, Dauphiné,
die Schweizer Kantone Wallis, Waadtland und Bern) festzustellen. Dabei
legitimierten sich theologische Konstrukte über die angeblich existierende
Hexensekte und eine Prozesspraxis, in deren Rahmen eifrig nach solchen
Verbrechern gegen Gottes Weltordnung geforscht wurde, gegenseitig. Einen
real existierenden, heidnischen "Hexenkult" hat es
nun einmal nicht gegeben, vielmehr erschuf
das intensive Suchen und Erfragen (unter der
Folter) die Hexen gleichsam aus dem Nichts. Außerdem lieferten
die in den
erpressten Geständnissen geschilderten Wetter- und Schadenzauber
eine
schlüssige Erklärung für real existierende Krisen
und Notzeiten; denn
schließlich erlebten die Menschen im 15. Jahrhundert bereits
eine
erhebliche
Klimaverschlechterung, die mit Wetterkatastrophen, Missernten,
Teuerung,
Unterernährung, Seuchen, Vieh- und Menschensterben verbunden
war. Auch die
bei den Hinrichtungen öffentlich verlesenen Geständnisse
der angeblichen
Hexen und Hexenmeister verfestigten das Bedrohungsszenario in den
Vorstellungswelten sowohl der Eliten wie der Massen und erhöhten
seine
Plausibilität.
Von den ersten Hexenverfolgungen ›infiziert‹ wurden
bald auch die Gebiete
am
Bodensee und Oberrhein. Hier fanden schon vor 1500 Hunderte von
Menschen
den
Tod. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich
Verfolgungen in
Oberitalien, im Baskenland und in Katalonien, aber auch in Lothringen,
Luxemburg und im Deutschen Reich. Nach 1520/1530, möglicherweise
wegen der
wirkmächtigen Konflikte im Umfeld der Reformation und der
Revolution des
Gemeinen Mannes (‚Bauernkrieg'), fanden die Hexenjagden in
Zentraleuropa
zunächst ein vorübergehendes Ende. Erst um 1560 (erneut
in Koinzidenz mit
schweren Krisenphänomenen) setzten jene massenhaften Hexenverfolgungen
ein,
die mit großen regionalen Unterschieden und zeitlichen Verschiebungen
bis
in
die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts reichen sollten. Einen
absoluten
Höhepunkt fanden die Hexenjagden in der Periode zwischen 1580
und 1650.
Einsicht: Die Hexenverfolgungen sind demnach eindeutig ein Phänomen
der
Frühen Neuzeit und beruhen auf einem, in den Köpfen von
Theologen
erfundenen
und von der Gerichtspraxis scheinbar bestätigten Konstrukt.
Zweite Fehlsicht: "Die Kirche,
besonders die Inquisition hat die Hexenverfolgungen betrieben"
Mit besonderer Hartnäckigkeit hält sich das Vorurteil,
Hexenprozesse hätten
in ihrer großen Masse vor geistlichen Inquisitionsgerichten
stattgefunden.
Diese Behauptung kann nicht einmal für die Frühzeit der
Hexenprozesse
zwischen 1430 und 1500 als korrekt gelten; denn bereits hier waren
neben
Inquisitoren auch weltliche Gerichte an der Verfolgung angeblicher
Hexen
und
Hexenmeister beteiligt. Gerade der schärfste kirchliche Propagandist
von
Hexenverfolgungen, Heinrich Institoris, Autor des berühmt-berüchtigten
'Hexenhammer' (Malleus maleficarum) erkannte, dass mit der geistlichen
Gerichtsbarkeit keine Erfolge bei der Ausrottung der vermeintlich
so
gefährlichen Hexensekte zu erreichen waren, und er verlangte
ausdrücklich,
dass sich die weltlichen Gerichte der Städte und Territorien
viel
intensiver
als bisher mit diesem Extremverbrechen beschäftigen müssten.
In jenen
Ländern, in denen die Verfolgung des Hexereidelikts weitgehend
oder ganz in
den Händen kirchlicher Inquisitionsbehörden lag, kann man
sowohl bei der
Spanischen (eingerichtet 1478) wie bei der Römischen Inquisition
(eingerichtet 1542/1578) einen gemäßigten, ja vorsichtigen
Umgang mit dem
Hexereidelikt feststellen. Der römische Kardinal Albizzi bezeichnete
gar
die
1636 in Deutschland miterlebten Hexenverbrennungen als "spectaculum
horrendum" ("grauenvolles Schauspiel"), beurteilte
die angewandte Praxis
der
weltlichen Gerichte als rückständig und lobte die kritischen
Ausführungen
von Adam Tanner und von dem ihm noch unbekannten Autor der Cautio
Criminalis, Friedrich Spee.
Auf besondere Vorsicht zielte die um das Jahr 1620
entstandene "Instructio",
eine Anweisung zur Praxis in Zauberei- und Hexereiverfahren im Bereich
der
Römischen Inquisition. Nach ihr musste ein konkreter Schadensfall
- Tod
oder
Krankheit - vorliegen, um ein Verfahren wegen Hexerei einleiten zu
können.
Eine einfache Denunziation oder Besagung reichte nicht aus. Ein Arzt
sollte
feststellen, ob es keine natürlichen Ursachen für die Schädigung
gab. Erst
wenn dieser sowie ein zweiter medizinischer Gutachter keine Erklärung
fanden, wurde der Prozess eröffnet. Die Inquisition setzte meist
nur sehr
gemäßigt die Folter ein, und die Verdächtigten erhielten
einen Anwalt. Überdies galten hier - im Gegensatz
zu den meisten weltlichen Gerichten -
Besagungen (das heißt Bezichtigungen durch geständig gemachte "Hexen")
nicht
als beweiskräftiges Indiz. Zwar glaubten die Mitglieder der
römischen
Inquisition an die Realität magischer Verbrechen, aber insgesamt
wurden nur
sehr wenige Todesurteile von ihren Gerichten verhängt.
Vermeintliche 'Hexen'
sollten nicht verbrannt, sondern reumütig in den Schoß der
Kirche
zurückgeführt werden; denn die Rettung ihrer Seelen hatte
deutlichen
Vorrang.
Ende Teil I
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