Trotz reichlicher Samenkapseln konnte ich ihn jedoch nicht zu einer weiteren Vermehrung in den darauf folgenden Jahren überreden. So blieb er ein gern gesehener, wenn auch scheuer Gast und taucht vielleicht in ein paar Jahren wieder auf.
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Datura
stramonium - Gast im Garten |
Der süße Duft der Nacht
Nun zu den botanischen Details. Der gemeine oder weiße Stechapfel ist eine buschigwachsende und aufrecht stehend einjährige Pflanze, die bis zu zwei Meter hoch werden kann. Die Blätter sind meist unregelmäßig spitz gelappt, eiförmig, weich, ungefähr handgroß und ihr Geruch erinnert an gekochte Kicherebsen. Der Stechapfel blüht weiß, gelblich weiß oder violett von Juni bis Oktober. Als Nachtschattengewächs öffnen sich die Blüten erst zur Nacht hin und neben der Selbstbestäubung wird die Pflanze hauptsächlich von Nachtfaltern besucht. In der Nacht ist der Geruch der Blüten auch am deutlichsten wahrzunehmen – stark süßlich, fast parfümartig. Den unangenehmen Geruch, der manchmal beim Stechapfel wahrzunehmen ist, stammt von den Stängeln und den Blättern. Die Fruchtstände bilden sich in Form von viergeteilten, stacheligen oder unstacheligen Kapseln, die in den Stängelachsen gerade nach oben stehen. Diese Kapseln sind mit 100 bis 800 schwarzen Samen gefüllt und werden auch dann noch verbreitet, wenn die Kapsel beziehungsweise die Pflanze schon längst
vertrocknet ist. Die Verbreitung dieser Samen erfolgt durch Tierstreuung[1].
Die genaue Herkunft des Gemeinen Stechapfel liegt im Dunklen – sowohl
Nord- und Mittelamerika, als auch Südasien kommen dafür
in Frage. Gesichert ist, dass er in Europa ein Neophyt [2] ist
und ungefähr im 16. Jahrhundert das erste Mal beschrieben
wurde. Er bevorzugt stickstoffreiche Böden wie sie zum Beispiel
auf Schutt- oder Müllplätzen vorkommen, aber auch an
Wegrändern und als Ackerunkraut ist er zu finden. Mittlerweile
ist der Stechapfel außer in den Polarregionen überall
auf der Welt zu finden.
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Datura
stramonium - schwarzes Samengold |
Die Dosis macht das Gift
Alle Pflanzenteile des Gemeinen Stechapfels, besonders aber die Wurzeln und Samen, sind giftig. Die giftigen Wirkstoffe sind Tropan-Alkaloide, S-Hyscyamin und Scopolamin. Schon Mengen ab 0,3 Gramm können Sinnenstäuschungen, Pupillenerweiterungen mit Sehstörungen, Atemlähmung und gesteigerte Erregung hervorrufen. Früher nutzte man die getrockneten Blätter in der Medizin um Asthma, krampfartigen Husten und die Parkinsonsche Krankheit zu behandeln. Heute werden die frischen Pflanzen als homöopathisches Präparat bei Infektionen mit hohem Fieber, Augenentzündungen und psychischen Krankheiten eingesetzt. Aufgrund der giftigen Wirkstoffe zählt Datura stramonium zu den stärksten psychoaktiven Pflanzen, was ihr in etlichen Kulturen einen Platz als wichtige, wenn auch nicht ganz ungefährliche, Ritualpflanze und Sexdroge verschafft hat. Bereits in der Antike war die narkotische und giftige Wirkung des Stechapfels bekannt. Er wurde hauptsächlich als Speergift bei der Jagd eingesetzt und wahrscheinlich auch bei dem einen oder anderen Mord.
Als einer der möglichen Herkunftsorte wird Kleinasien und der Raum zwischen dem Kaspischen Meer und dem Hindukusch gesehen. Dafür spricht der botanische Namen Datura, der sich aus dem arabischen Tatorah (Dornenapfel) ableitet. Einige Variationen dieses Namens wie Datula und Dhutura sind heute noch die gebräuchlichen Bezeichnungen für den Stechapfel in Asien. Der Stechapfel zählt im Hinduismus neben dem Hanf zu den Pflanzen die Shiva geweiht sind. Der Überlieferung nach soll er direkt aus der Brust von Shiva gewachsen sein. Bei zahlreichen religiösen und erotischen Ritualen wurden Hanf und Stechapfel verwendet. Den tantrischen Lehren nach öffnet Hanf die weiblichen Energien im Mann und Datura befördert das Leben in den Lingam und verkörpert somit das Männliche. Einem Rezept aus dem 17. Jahrhundert nach, sollen Stechapfelkerne gemeinsam mit schwarzen Pfefferkörnern, einer Schote Pinpalli (Stangenpfeffer) oder Betelpuder und Lodrha-Schale (Symplocos racemosa) gemischt mit Honig als Salbe auf den Lingam aufgetragen werden. Beim Geschlechtsverkehr soll dies einen Orgasmus hervorrufen und den Willen der Frau gefügig machen.
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Datura
stramonium - geschlossen Blüte und Samenkapsel |
In China wurde im 16. Jahrhundert der Stechapfel von Kräutergelehrten zur Behandlung von Hautausschlägen und innerlich bei Atemwegserkrankungen und Nervosität angewandt. Als Anästhetikum
bei Operationen wurde er gemischt mit Hanf und Wein verwendet.
Zigeunerapfel – Liebeszwinger - Hexenkraut
Vermutlich brachten die Sinti und Roma im frühen Mittelalter den Stechapfel aus ihrer mittelasiatischen Heimat nach Europa, worauf auch der Name „Zigeunerapfel“ deutet. In schriftlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit ist die Rede davon, dass er eine große Rolle bei ihrem magisch-mythologischen Ritualen spielt und sie über genaue Kenntnisse in der Anwendung des Stechapfels, wie zum Beispiel Räucherungen im Stechapfelsamen zum Verscheuchen von Gespenstern und Herbeirufen von Geistern, verfügten. In vielen Kräuter- und Pflanzenbüchern aus dem 16. und 17. Jahrhundert wird vor der Anwendung von Datura stramonium gewarnt. Niedrig dosiert kann er zu ekstatischen Zuständen und sexueller Erregung führen. Aber bei nur ein wenig mehr führt er eher zu narkotischen Trancezuständen und macht die Konsumenten zu willenlosen Opfern. Im Mittelalter machten sich dies Räuber, Zuhälter, Vergewaltiger, Hurenwirte und Buhlerinnen zu nutze was sich unter anderem im Namen „Liebeszwinger“ aus dieser Zeit niederschlägt.
Last but not least wurde der Stechapfel natürlich auch mit den Hexen in Verbindung gebracht und taucht unter dem Namen „Hexenkraut“ als Bestandteil von Flugsalben auf. Der Stechapfel wurde aber auch als Gegenmittel bei Hexenzauber gebraucht. Zum Beispiel bei durch Dämonen und Hexen verursachter Impotenz – was wiederum auf seine Wirksamkeit als Aphrodisiaka schließen lässt.
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Datura
stramonium - bereit zur Verführung |
Auch wenn der gemeine oder weiße Stechapfel eine der gefährlicheren Pflanzen ist, würde ich mich freuen wenn er wieder mal einen Besuch in meinem Garten macht. Aber ich habe vor ein paar Wochen einige „wilde“ Standplätze von ihm bei einer Wanderung gefunden und probier es mit dem Ansäen
einfach weiter.
Quelle:
Haag, Stefan: Liebeskraut und Zauberpflanzen. Mythen, Aberglauben, heutiges Wissen. Stuttgart 2010.
[1] Berühren Tiere die Stängel, an denen die geöffneten Früchte sitzen, bewegen sich die Stängel, so dass die meist kleinen und leichten Samen ausgestreut werden. Viele Pflanzen, die die Tierstreuung als Ausbreitungsmechanismen ihrer Samen nutzen, sind deshalb weit ausladend gebaut, so dass es leicht zu einer Berührung
mit Tieren kommt.
[2] Als Neophyten bezeichnet
man alle eingewanderten, also nicht ursprünglich in einem Gebiet/Kontinent
beheimateten, Pflanzen.
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