Einerseits reizte mich der Inhalt der Ausstellung, immerhin wird gerade über das Thema soziale Sicherung und deren finanzielle Leistbarkeit sehr viel diskutiert. Andererseits interessierte mich die museumsdidaktische Aufarbeitung dieses Themas.
Der Ausstellungsort wurde als Heim der Diakonissinnen im Jahr 1909 als Ort einer Glaubens-, Arbeits- und Lebensgemeinschaft gegründet deren Aufgabe in der Hilfestellung von Menschen in Notlagen ist und war. Zu Beginn war es ein Damen- später dann auch Flüchtlingsheim, Notkrankenhaus während des 2. Weltkrieges, Wohnort für Schülerinnen der Schwesternvorschule und Lehranstalt für Heilpädagogische Berufe. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz, wird unter anderem als Tagesbetreuungsstätte für Menschen mit Demenz benutzt und beherbergt ein Beschäftigungsprojekt für Menschen mit Behinderung im Kunst- und Kulturbereich.
Solidarität der Gesellschaft als Grundidee
Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem Thema Hilfe bei sozialen Herausforderungen wie Krankheit, Armut, Behinderung oder soziale Ausgrenzung. Es zeigt, dass die Hintergrundidee der sozialen Sicherung auf der Idee einer Gesellschaft basiert, deren Pflicht es ist, sich um Menschen in Problemlagen anzunehmen. Sie zeigt die geschichtliche Entwicklung des gesellschaftlichen Umgangs mit den verschiedenen Lebensrisiken. Als BesucherIn hat man immer wieder die Möglichkeit in verschiedenen Rollen zu schlüpfen und sich mit den verschiedenen Lebenslagen, Schicksalsschlägen und verschiedenen Lösungswegen auseinander zu setzen. Es sollen die Schwachstellen der sozialen Sicherheit aufgezeigt werden und der Besucher/die Besucherin sensibilisiert werden, dass nicht nur die Gesellschaft Verantwortung für diesen Bereich trägt, sondern auch die individuelle Verantwortung jedes Einzelnen/jeder Einzelnen für ein gutes Leben beziehungsweise Zusammenleben gefragt ist.

- Darstellung der
verschiedenen
Lebensrisiken
Als ich die Ankündigungen für diese Ausstellung gelesen habe ich mir gedacht, na servas – wie wollen die bloß so ein schwieriges und auch sensibles Thema aufarbeiten. Eigentlich ist es ein trockenes, für die meisten unangenehmes Thema wo man als AusstellungskuratorIn wahrscheinlich auf eine Vielzahl von Flachware (Dokumente, Fotos, etc.) aber auf wenig haptische Objekte zurückgreifen kann. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass so etwas schnell langweilig für die BesucherInnen wird. Außerdem setzt man sich mit diesem Thema meist nur auseinander, wenn man selber (oder wer aus der Familie beziehungsweise dem Freundeskreis) auf das soziale Netz angewiesen ist oder damit in seinem Leben schon mal Erfahrungen gemacht hat.
Neue soziale Netze werden geknüpft
Im ersten Teil der Ausstellung wird die historische Entwicklung des Systems der sozialen Sicherung präsentiert und deren Zentrierung auf die Erwerbstätigkeit thematisiert. Der Gedanke der Solidarität bildet die Grundlage des Systems: Es lebt von der Akzeptanz und der aktiven Unterstützung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen. Verschiedene soziale Gruppen sind zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmaß abgesichert worden, wobei die zentrale Voraussetzung der Kranken- und Unfallversicherung (wie in der Regel heute noch) in der Erwerbstätigkeit gegründet war.
Durch zunehmende Industrialisierung kam es zu einer Abwanderung der Bevölkerungen in die verschiedenen Städte und Industriegebiete. Somit wurde das soziale Netz, dass bis jetzt hauptsächlich durch die Familie im Fall von Krankheit, Unfall oder Alter und der daraus resultierenden Armut gebildet wurde geschwächt beziehungsweise ganz zerrissen. Der zunehmende Unmut der arbeitenden Klasse machte sich vermehrt durch Demonstrationen bemerkbar und der Staat und die Unternehmen sahen sich gezwungen ein Sicherungssystem für die ArbeiterInnen zu entwickeln – die Unfall- und Krankenversicherung wurde eingeführt. Somit hatten die ArbeiterInnen einen Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen – so lange sie erwerbstätig waren.
Wer hat Unterstützung verdient?
Wenn jemand in die Arbeitslosigkeit und damit meist auch in Armut geriet, war er/sie darauf angewiesen in seine/ihre Heimatgemeinde zurück zu kehren und dort um Unterstützung durch die Gemeinde anzusuchen. Ein zentrales Thema dieses Bereichs ist die Unterscheidung zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen, die die Fürsorgeeinrichtungen beschäftigte und auch heute noch beschäftigt, ebenso wie der Grundsatz der Subsidiarität[2]. Erst wenn wirklich keine Mittel mehr vorhanden waren, wurde die Unterstützung der Gemeinde gewährt. In diesem Feld – Versorgung der Erwerbsunfähigen – etablierten sich Hilfseinrichtungen von kommunalen und privaten (konfessionellen) Trägern, die jeweils spezielle Personengruppen betreuten.

- Wer hat die Unterstützung
wirklich verdient?
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde die soziale Sicherung zum Konfliktfeld der großen politischen Lager in der ersten Republik. 1920 wurde die Arbeitslosenversicherung eingeführt – unter anderem wollte man damit auch das Risiko eines militärischen Umsturzes durch die aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten und jetzt sich in der Arbeitslosigkeit befindlichen Männer verhindern. Die Politiker fürchteten, dass die Männer am Kommunismus Gefallen gefunden hatten und diesen auch in Österreich mit Waffengewalt einführen wollten. Ursprünglich war auch ein weiterer Ausbau des Versicherungssystems mit der Einführung einer Pension geplant, der wurde allerdings durch die Weltwirtschaftskrise verhindert. Die steigende Arbeitslosigkeit führte zu einem massiven Armutsphänomen und dies wiederum begünstigte den aufkommenden Nationalsozialismus. In der NS-Zeit wurden soziale Maßnahmen wie Alterspension, Ehestandsdarlehen und Kinderbeihilfen eingeführt; durch die Kriegsvorbereitungen kam es auch zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Die Leistungen des nationalsozialistischen Wohlfahrtsstaats standen aber nur jenen Menschen zur Verfügung, die die Voraussetzungen der Erbgesundheit und der Rassereinheit erfüllten.

- Die Prinzipien des ASVG
Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde das Modell der Versicherung beibehalten und nochmal ausgebaut. Der Kreis der Versicherten wurde zum Beispiel um bisher nicht erfasste Berufsgruppen und Angehörige erweitert. Die Basis dazu bildete und bildet auch heute in Österreich das Allgemeinde Sozialversicherungsgesetzt, kurz ASVG genannt. Sie deckt Risiken wie Krankheit, Unfall und Alter ab. Die Arbeitslosenversicherung zählt zwar auch zu den Pflichtversicherungen, ist aber in Österreich nicht im ASVG geregelt. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetzt beruht auf verschiedenen Prinzipien - neben dem Prinzip der Pflichtversicherung, sind hier noch das Solidaritätsprinzip, der Generationenvertrag, die Normalarbeitszeit und das Versicherungsprinzip zu nennen. Das Solidaritätsprinzip besagt, dass Menschen mit höheren Einkommen auch höhere Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Der Generationenvertrag besteht darin, dass die heute Erwerbstätigen die Pensionen der heutigen Pensionisten zahlen. Das Prinzip der Normalarbeitszeit besagt, dass alle ArbeitnehmerInnen mit Normalarbeitszeit (Vollzeit und unbefristet) voll in das soziale System integriert sind – was natürlich in heutigen Zeiten mit einer Zunahme von Teilzeit und anderen mehr oder weniger prekären Beschäftigungsverhältnisse zunehmen zu einer Benachteiligung dieser letztgenannten Gruppe führt. Das Versicherungsprinzip besagt, dass die Erwerbstätigen eine Risikogemeinschaft bilden um bei Arbeitsunfähigkeit abgesichert zu sein.
Der Weg zur Selbstbestimmung und Chancengleichheit
Im weiteren Verlauf der Ausstellung wird nochmal vertiefend auf die verschiedenen Lebensrisiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter und Behinderung eingegangen und die Rolle der verschiedenen sozialen Dienst in diesem Kontext herausgearbeitet. Zusätzlich wird das Thema Behinderung und Alter ausführlichere behandelt. Hierbei geht auch um die geschichtliche Entwicklung dieser beiden Risiken. Früher arbeitete man nach dem Motto „warm, satt und sauber“ und dabei ging es grundsätzlich um Grundversorgung der betroffenen Menschen. Dies hat sich über das Motto „Förderung und Rehabilitation“ hin zu „Selbstbestimmung und Chancengleichheit“ entwickelt. Heute steht zum Beispiel im Bereich der Behindertenarbeit zunehmend die Frage der Beteiligung/Inklusion und dem Abbau von Barrieren im Vordergrund.

- "Kleine Helfer" für
ältere Menschen
Auch bei Personen im Alter hat hier in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden. Neben der Pension beziehungsweise einer allenfalls anfallenden Ausgleichszulage (damit die Mindestpension erreicht wird) ist es Ziel die Menschen in ihrem familiären Umfeld zu belassen - Stichwort Förderungen für die 24-Stunden-Pflege daheim, Ausbau von Tagesbetreuungsplätzen für SeniorInnen, etc. Die eventuell zusätzlich benötigten ambulanten und stationären Hilfestellungen werden - wie in anderen Sozialbereichen auch (Behinderten-, Jugend-, Familienarbeit, Unterstützung bei der Lebensbewältigung für verschiedenste Gruppen) - von immer qualifizierterem Personal geleistet. Auch die Sozialeinrichtungen agieren immer professioneller, kämpfen aber oft mit Unverständnis und Sparzwängen. Viele soziale Dienste könnten nicht geleistet werden, gäbe es nicht zahlreiche Menschen, die sich ehrenamtlich im Sozial- und Gesundheitswesen, aber auch im Freizeitbereich engagieren.

Im zweiten Teil des Artikels beschäftige ich mich mit der museumsdidaktischen Umsetzung des Ausstellungsinhaltes sowie mit den verschiedenen Fragen, die mir während meines Besuches zu diesem Thema – über die Zukunft einer solidarischen Gemeinschaft und inwieweit sich hier auch die verschiedenen heidnischen Gemeinschafen einbringen können.
Ende Teil I
Quelle:
OÖ Landesausstellung 2015 - Hilfe. Lebensrisiken – Lebenschancen – Soziale Sicherung in Österreich
www.wikipedia.com
[1] Das Haus ist nach dem biblischen Ort Bethanien benannt und Heim der Diakonissinnen. Eine Diakonisse ist eine Frau die in einer evangelischen verpflichtenden Glaubens-, Lebens- und Dienstgemeinschaft lebt.
[2] Subsidiarität ist eine gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Einstellung, die die Entfaltung der Fähigkeiten des Einzelnen/der Einzelnen, deren Selbstbestimmung und Eigenverantwortung in den Vordergrund stellt und anstrebt. Erst wenn das nicht klappt, dann springt eine übergeordnete Institution ein und übernimmt Aufgaben und Handlungen subsidiär, also unterstützend.
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