Sind es die Wunschvorstellungen, die Wunschbilder und Vollkommenheitsideale, welche die Gralssage auch heute noch so attraktiv und anziehend sein lassen? Und warum wird genau dieses auch heute immer noch auf den Gral an sich projeziert?
In diesem Artikel möchte ich einen Abriss über die verschiedenen Elemente der Gralssage und ihren Ursprung geben. Denn immer wieder wird der Gral, ein weiteres Opfer der esoterischen Pseudo-Geschichte, als rein keltisches Kulturgut (vielleicht weil am sagenumwobensten?) verkauft. Dass es so einfach nicht ist, soll folgende Zusammenfassung über die Ursprungdiskussion des Grals beweisen. Die historische, archäologische und literaturwissenschaftliche Forschung hat die Wurzeln der Gralssage in verschiedenen Richtungen und Kulturen gesucht. Von einem interdisziplinären Standpunkt aus gesehen, kommen folgende Ursprünge in Frage.
Christliche Elemente
Vor allem im legendarischen Bereich der Gralssage finden wir häufig christliche Elemente. Der Gral gilt als etwas Heiliges, in einem Teil der Tradition steht er auch in engem Zusammenhang mit der Passion Christi, vor allem auch durch die immer wieder auftauchende blutige Lanze.
Liest man die Gralsromane von Chretien de Troyes „Le Conte du Graal“ und Wolfram von Eschenbach „Parzival“, so steht der christliche Background zunächst sehr präsent im Vordergrund. Die Kirche hat zwar niemals auch nur eine Variante der Gralssage anerkannt, doch erschien ihren Zeitgenossen der Gral doch als ein heiliges Objekt.
So hat Chrétien beispielsweise die Bekehrung Percevals auf den Karfreitag verlegt, auch wenn die übertriebene Buße des Helden ein gewisses Schmunzeln nicht vermeiden lässt.
Bei Wolfram geht Perceval zwar den läuternden Weg zu religiösem Verständnis und Eintracht mit Gott, er setzt dafür aber keinerlei christliche Symbolik ein.
Diese beiden Beispiele, herausgegriffen aus einer großen Anzahl ähnlicher Belege, lässt bereits vermuten, dass der Gral kein ursprüngliches christliches Konzept dargestellt hat.
Keltische Elemente
Eine weitere These ist, dass die Gralssage aus der keltischen Heldensage stammt.
In dieser Spezies wurzelt ein Großteil der matiére de Bretagne, dem Stoff um König Artus’ Tafelrunde. Erwiesenermaßen hat die Gralssuche ihre Vorbilder im Kreis der keltischen Sagen von Jenseitsreisen. In der Bretagne siedelten seit dem 5. Jahrhundert die keltischen Bretonen, die nach Invasionen die britische Insel verließen und sich in Amorika, der heutigen Bretagne, niederließen. Hier kann noch immer der Foret de Broceliande besucht werden, in dem viele Geschehnisse der Artussage stattgefunden haben sollen. Eine schöne und durchaus magische Region, sollte man das Glück haben, vor lauter Autobussen und Touristen einen Stein oder Baum zu Gesicht zu bekommen!
Die Geschichte um Parzival spielt auch in Wales, nach Wolframs Beschreibungen wurde er von seiner Mutter in der Nähe des Berges Snowdon von seiner Mutter großgezogen. Ansonsten gibt es kaum lokale Bezugspunkte in der Gralssage. Dieser Hinweis kann also durchaus als Hinweis für eine keltische Heimat angesehen werden.
Daneben liefert auch die Beschreibung der Gralshalle einen neuen Anhaltspunkt, die einer keltischen Fürstenhalle ähnlich sieht - als wieder ein Pluspunkt für die keltische Abstammung.Auch der Gral selbst gibt Hinweise darauf. Haben wir es doch beinahe bei allen Gralinterpreten mit einer Schüssel oder Kessel zu tun und nur selten mit einem Becher. Der Kessel ist ein immer wieder kehrendes Symbol in der keltischen Kultur und spielt bei vielen Göttern eine Rolle, so wie bei Dagda, Manannan oder Cerridwen.
Wir haben im Keltischen also eine Menge Hinweise auf die Gralssage, doch die gesamte Handlung finden wir hier nicht. Reicht es dennoch aus, um der Gralssage keltischen Ursprung zu attestieren?
Orientalische Elemente
Einmal mehr wird die Herkunft des Sagenkreises im Orientalischen gesucht. Der Läuterungsweg des Helden Parzivals gleicht dem Gnostisch-Manichäischen, wenn auch nur in der Dichtung Wolframs. Nur wie kam Wolfram von Eschenbach auf diese doch etwas exotische Idee? Im 12./13. Jahrhundert waren die Lehren der Katharer in Europa schon weit verbreitet. Diese wiederum haben ihre Wurzeln in altpersischem Gedankengut.Möglich, dass Wolfram von dort die Idee übernahm.
Ein Hinweis darauf wäre, dass der Gral bei Wolfram nur ein Stein ist. Wenn er aber wirklich Chrétien als Vorlage hatte, warum machte er aus Chretiéns Schale einen Stein? Diese Frage ist bis heute aus literaturwissenschaftlicher Sicht nicht geklärt.
Und so wie diese, so kann auch auf die gesamte Fragestellung keine einfache Antwort gegeben werden. Die Gralssage trägt Elemente unterschiedlicher Herkunft in sich. Wie sich diese zur Gralssage kumuliert haben und wo die Heimat des Sagenkreises wirklich liegt, ist bis heute nicht zu klären gewesen.
Literaturhinweise:
Chrétien de Troyes: Le Conte du Graal
Wolfram von Eschenbach: Parzival
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