Wir wissen von den Kelten, dass sie sehr spirituell waren. Sie glaubten an eine „andere Welt“.
Bevor ich nun darüber schreibe, was ich als die „Anderswelt“ betrachte, muss ich wohl etwas über die Kelten schreiben: Sie waren über weite Teile Europas verbreitet, vom Schwarzen Meer bis nach Schottland im Norden und bis nach Portugal im Süden. Selbst in Kleinasien gab es kleine Gruppen von Kelten, z.B. in der heutigen Türkei. Die Römer und auch andere Völker überrannten sie schließlich, bis auf wenig Ausnahmen, z.B. in Schottland, Irland und Wales. Sind sie jedoch verschwunden? Wurden alle bis auf den letzten Mann, die letzte Frau, das letzte Kind ausgerottet, getötet? Sicherlich nicht. Vielmehr haben sie sich mehr oder weniger vermischt mit anderen Völkern. Ihr Erbe lebt somit immer noch in uns. Selbst Sitten und Gebräuche sind noch manches Mal lebendig, wir müssen sie nur finden. Denn oft sind Bräuche überlagert worden, meistens durch die christliche Lehre. Aber auch durch Einflüsse anderer Völker.
Nachdem die Kelten keine Schrift entwickelt hatten, gibt es keine schriftlichen Überlieferungen, in denen sie über sich selbst berichtet hätten. Zwar gibt es viele schriftliche Zeugnisse von Römern, z.B. das bekannte Buch von Caesar „De bello gallico“ und ferner noch einige andere Schriften von römischen Geschichtsschreibern, aber diese Aufzeichnungen müssen wir mit etwas Vorsicht betrachten. Denn die Römer sahen die Kelten (oder Gallier, wie sie von den Römern genannt wurden) von ihrer Warte aus. Die römische Weltsicht, ihre Religion oder Lebensphilosophie war sicher anders als die der Kelten. So liegt es wohl auf der Hand, dass sie alles, was sie von den Kelten sahen, erlebten oder hörten, nicht dasselbe sein konnte, wie es die Kelten selbst erlebt haben. Sitten und Gebräuche wurden von den Römern mit ihren eigenen Gebräuchen verglichen und dementsprechend kommentiert. Ja, selbst die Götter der Kelten (oder was die Römer als Götter betrachteten), verglichen sie mit ihren eigenen Götter. So schrieben sie, dass einer der keltischen Götter mit dem Apollo zu vergleichen sei oder eine Göttin wäre das, was die Römer die Minerva nannten. Ich stelle mir heute, nachdem ich viel über die Maori gelernt habe und auch über ihre Vorstellung, was Götter sind, die berechtigte Frage, ob die Kelten überhaupt Götter im Sinne und im Verständnis der Römer hatten. Bei den Maori ist beispielsweise die Welle eine Göttin. Aber nicht eine Göttin, die man abbilden kann, sondern die Welle selbst ist die Göttin. Oder Papatuanuku, die Mutter Erde ist eine Göttin. Aber auch hier ist es die Erde selbst, sie ist heilig und wird verehrt und deshalb ist sie eine Göttin. Oder Tanemahuta ist nicht der Gott des Waldes, sondern der Wald selbst. Deshalb haben die Maori auch keine Götterbilder oder Götterstatuen. Was sie in den Marae (Versammlungshaus) haben, das sind ihre Vorfahren, aber keine Götter. Ebenso hatten die Kelten keine Abbildungen ihrer sogenannten Götter. Erst später, unter römischen Einfluss wurden einige Gottheiten abgebildet und es gab dann sogar Tempel, besonders in Frankreich, wo der römische Einfluss anhielt. Götterabbildungen und Tempel waren jedoch vorher und auch bei anderen Stämmen nicht im Vorstellungsvermögen der Kelten. Denn wie könnte man den Wald darstellen? Der Wald war der Gott und der Wald wurde geehrt, keine Statue!
Einige Jahrhunderte später kamen dann christlichen Mönche in die keltischen Gebiete, z.B. nach Irland. Sie schrieben mit großem Eifer auf, was ihnen die noch verbliebenen Kelten erzählten. Nicht nur Sitten und Gebräuche, sondern auch alt überlieferte Mythen und Sagen. Ähnlich wie die Römer, haben nun die christlichen Mönche diese Erzählungen ebenfalls aus ihrer eigenen Weltsicht heraus interpretiert und sicherlich nicht ganz genau so aufgeschrieben, wie sie erzählt wurden. Wenn die Kelten nun von einer „anderen Welt“ erzählten, dann war es doch für die Mönche keine Frage, dass damit das gemeint war, was ein Christ unter dem „Himmel“ versteht, also ein ewiges Leben in einer rein geistigen Seinsform. Dass dies ein Leben in ewiger Jugend war oder mit ewiger Freude ohne jedes Leid, ohne Schmerz und ohne Tod, das war für die Mönche sicher keine Frage. Denn so stellten sie sich ihren Himmel vor. Nämlich ein ewiges Leben ohne jedes Leid, ohne Schmerz, Krankheit oder Tod.
Seit mehr als 20 Jahren interessiere ich mich sehr für die Kelten, ihre Kultur, ihre Lebensweise, ihre Religion. Wenn ich nun all das, was ich soeben über die Aufzeichnungen der Römer und später der Mönche geschrieben habe, das alles überdenke und statt dessen ihre Hinterlassungen aus Haushalts- und sonstigen Gebrauchsgegenständen, sowie auch den Schmuck und die Grabbeigaben betrachte, dann zweifle ich sehr an, ob all das, was in den Büchern steht, möglicher Weise gar nicht richtig ist. Ja, dass es gar nicht richtig sein kann! Denn selbst wenn wir heute in ein fremdes Land kommen und dort für uns unverständliche Sitten und Gebräuche miterleben, dann werten wir dies alles immer von unserer Warte aus. Da ich nun in Neuseeland lebe, kann ich dies auch in Bezug auf die Maori beobachten. Wir Europäer haben eine ganz andere Lebenseinstellung als die Maori. Deshalb fällt es uns schwer, sich in ihre Denkweise – noch mehr aber sich in ihre Gefühlswelt hinein zu versetzen. Denn auch wir betrachten fremde Völker in erster Linie von unserer Warte aus.
Ende Teil I
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