Die Orishas der Santería
Zwar wurde bis heute schon genug über die Orishas der Yoruba und Lukumí geschrieben
13), doch darf an dieser Stelle eine kurze Vorstellung der wichtigsten Gottheiten
natürlich nicht fehlen. Dabei muß ich vorausschicken, daß auch
hier eine halbwegs erschöpfende Beschreibung oder Charakterisierung der
Orishas unmöglich ist. Wer sich einmal eingehender mit nur einer dieser
Wesenheiten befaßt, der entdeckt, daß sich hinter jeder von ihnen
ein schier unergründliches Mysterium eröffnet, das auch nur durch eine
Einweihung in einen Orisha in ganzer Fülle erfahren werden kann.14)
Im afrikanischen
Heimatland der Yoruba gab und gibt es eine Unzahl von Orishas (die oft genannten
Ziffern 201 oder 401 sind symbolisch),
von denen nur einige die Atlantic Passage, also den Sklaventransport
nach Amerika, mitgemacht haben. Regional verehrte Gottheiten oder
solche, die für die versklavten Afrikaner im Exil von geringerer
Bedeutung waren, verschwanden auf Cuba oder gingen in anderen Orishas
als deren Avatare oder Aspekte (caminos) auf. Auf Cuba werden ungefähr
noch 40 Orishas aktiv verehrt. Zu diesen gehören:
Eleggua (Elegba,
Eshú)
Aroni
Orunmila (Orula, Orunla, Ifá)
Yemayá (Yemoja)
Ogún
Osun
Orí
Olokun
Ochosi
Obatala
Oricha Oko (Oko)
Ochún (Oshún)
Obaloke (Oke)
Dada (Bayanni, Obañeñe)
Ibeyi
Obba (Obba Nani)
Inle (Erinle)
Korikoto
Changó (Shangó)
Nana Buruku
Abata
Oggué (Ogé)
Yegua (Yewa)
Oddudua (Oddua, Oduduwa)
Babalú Ayé (Chakuana, Asoyí)
Aggayú (Aggayú Cholá /Solá)
Oyá (Yansa)
Iroko
Osain
Oro Aina (Oroiñá)
Ayao
Ogan
Añá (Àyàn)15)
Ochumare
Logun Ede
Ajala Mopin15)
Viele dieser Gottheiten werden in sogenannten Aspekten (caminos)
diversifiziert, die zwar alle miteinander als der eine Orisha gelten,
dem sie zugeordnet sind,
jedoch ganz bestimmte isolierte "Aspekte" seines Wesens verkörpern.
Diese Wesensaspekte offenbaren sich häufig in bestimmten Episoden, Situationen
oder Stationen seines mythischen Lebensweges, wie sie in den Legenden (patakis)
festgehalten und überliefert wurden.
Die Gesamtzahl der Orishas läßt sich nach verschiedenen
Gesichtspunkten unterteilen, systematisieren und ordnen. So gibt
es primordiale Gottheiten, die sogenannten Imale oder Irunmole,
numinose kosmische Mächte, die vor der Schöpfung des
Universums existierten und es mitgestalteten16); Gottheiten, die
Naturgewalten oder Naturelemente personifizieren; Gottheiten, die
ehemals lebende Persönlichkeiten waren und posthum deifiziert
wurden (die eigentlichen Orishas)17); Gottheiten, die heiligen
Bäumen innewohnen, und Schutzgottheiten, die bestimmte Aktionen
oder Lebensprozesse überwachen. Die meisten der oben aufgeführten
Gottheiten passen gleichzeitig in mehrere Kategorien, beziehungsweise
erfüllen mehrere Funktionen. Darüberhinaus bilden bestimmte
Orishas kultisch bedingte Gruppierungen. Zu diesen zählen
die tres guerreros: Eleggua, Ogún und Ochosi, die Orishas
de fundamento: Eleggua, Obatala, Changó, Yemayá und
Ochún, sowie die siete potencias: Eleggua, Ogún,
Obatala, Changó, Yemayá, Ochún und Oyá 18).
Ihrem Charakter entsprechend gibt es Gottheiten, die in die Kategorie
der "Weißen (hellen, reinen, kühlen, ruhigen) Orishas" (orisha
funfun) gefaßt werden. Zu diesen gehören Obatala, Oddudua,
Yemowo, Oke, Ogan, Ochosi, Ochún, Nana Buruku und Oricha
Oko 19).
Charakterisierungen der Orishas
Eleggua (Elegba, Eshú)
...
ist in der Regla de Ocha die Gottheit der
Wege, der Kreuzungen und Weggabelungen, des Eingangs und des Ausgangs. Dies
ist natürlich nicht nur figurativ zu verstehen; im übertragenen
Sinne ist Eleggua verantwortlich für den Lebensweg, für
das Gelingen oder den Mißerfolg von Unternehmungen, für
Begegnungen und Entscheidungen, für Zufälle, Unfälle
und das unergründliche Schicksal. Er
ist ein Schalk, der das non-lineare, chaotische Element in der Welt repräsentiert.
Eleggua ist der große Kommunikator. Er knüpft Verbindungen, schürt
aber auch Zwist. Ohne seine Vermittlung ist nichts zu bewerkstelligen. Er
ist der yorubische Hermes, der göttliche Geheimdienstbeauftragte, der
den Orishas die Opfergaben der Menschen zuträgt oder deren Betragen ausspioniert,
und der andererseits verdeckte Strafexpeditionen ausführt, wenn sich
wieder einmal die Hybris unter den Erdgeschöpfen ausbreitet. Hierfür
untersteht ihm das Pandämonium der Ajogún (wörtlich: "Krieger"). Eleggua verwaltet die universale Energie, das Aché.
In der Lukumí-Tradition werden Eshú und Eleggua (Elegba) als
Dualität angesehen, wobei Eshú der unberechenbare, gefährliche
und maliziöse, Eleggua hingegen der kooperationsbereite, zumindest ansatzweise
domestizierte Aspekt des Orishas ist. Diese Transformation vollzieht sich mit
der Verankerung seines aché in einem Stein, der ihm geweiht wird und
ihn ikonisiert. Nüchtern betrachtet ist Legba im Ursprung nur die Entsprechung
des yorubischen Eshú bei den Ewe und Fon.
Die Farben von Eleggua sind Schwarz-Rot oder Schwarz-Weiß, seine Zahlen
die 1, die 3 und die 21. Er liebt Süßigkeiten und Spielzeug, ist
gleichzeitig infantil und libidinös.
Ogún
...
ist der Mars/Ares des Yoruba-Pantheons, Herr des Eisens und
der Schmiede und ein unerbittlicher Krieger. Abgeleitet von dieser archaischen
Bedeutung ist er der Orisha der Arbeit, der Technik/Technologie sowie der
Evolution, und zwar durchaus im darwinistischen Sinne. Ihm gehören
Waffen und Werkzeuge. Er gilt als Begründer der Zivilisation.
Seine Farben sind Schwarz und Grün,
seine Zahl ist die 7.
Ochosi (Òsóòsì)
...
ist der archaische Jäger
mit Pfeil und Bogen, der Orisha der Jagd. Im übertragenen Sinne steht
Ochosi für Zielgerichtetheit, Zielstrebigkeit und Konzentration, der
dem Menschen die Ausdauer bei der Verfolgung seiner Ideen und Projekte
verleiht.
Ochosi ist auch der Orisha der Gefangenschaft und der Gefängnisse.
Ochosi hat wie Ogún die Zahl 7, seine Halketten sind blau-gelb.
Inle (Erinle)
...
war und ist in Afrika eine Jagdgottheit. Auf Cuba
ist er Fischer geworden, der gemeinsam mit Ochún die Süßgewässer
regiert. Zudem gilt er als Schutzpatron der Homosexuellen. Er lebte lange
genug mit Yemayá zusammen, um von ihr in die Mysterien des
Meeres eingeweiht zu werden. Als er beschloß, Yemayá zu
verlassen, um für immer
zu Ochún zu gehen, schnitt ihm die Verlassene seine Zunge aus
dem Mund, damit er ihre Geheimnisse nicht preisgeben konnte. Die Farben
von Inle sind Grün-Weiß oder
Grün-Gelb. Seine Zahl ist die 7, wie die Zahl von Yemayá.
Oricha Oko
...
ist der Orisha der Landwirtschaft. Die Legende erzählt,
er habe sich dem Ackerbau verschrieben, nachdem er die Lepra bekommen
hatte und aus seiner Stadt Irawo verstoßen worden war. Ihm
gehören alle Feldfrüchte,
insbesondere aber die Süßkartoffel. Ebenso wie er für
die Fruchtbarkeit der Scholle sorgt, regiert er auch die Fruchtbarkeit
des Menschen und hilft zudem
gebärenden Frauen. Er schlichtet Streitigkeiten zwischen den Orishas.
Seine Farben sind Lila und Türkis, seine Zahl ist die 7.
Babalú Ayé (Shopona)
...
ist der Orisha der Seuchen
(insbesondere der Pocken), der ansteckenden Krankheiten und des
ausweglosen Leidens. Er vergilt
soziale Ungerechtigkeit und Ausgrenzung sowie Gewaltausübung
gegen Schwache.20) Er ist der Zorn und die Hitze der Erde, über
die ein krankmachender Wind weht. Seine Farben sind Braun und Schwarz,
seine Zahl die 13 oder 17.
Osain (Osayin, Òsányìn)
...ist der Wald,
el monte, die wildwachsende Flora. Er ist der Orisha der Pflanzen,
vor allem der Heilkräuter.
Er verleiht den Pflanzen ihre heilende oder magische Potenz. Seine
Zahl ist 101.
Obatala (Orishanla)
...ist die große Schöpfergottheit
der Yoruba. Er hat männliche und weibliche Aspekte. Er ist
der Orisha des Friedens und der Gnade, der Reinheit und der Gerechtigkeit.
Sein Name Obatala bedeutet "Herr
der weißen Kleidung". Er verkörpert einen zerebralen,
intellektuellen Menschentypus. Ihm gehören alle Köpfe.
Seine Farbe ist ein silbriges, blütenreines Weiß, seine
Zahl ist die 8. Nach einem Mythos soll er einst der eine und einzige
Orisha gewesen sein, den es gab. Er wurde jedoch von
einem ungetreuen Diener mit einem Felsbrocken zerschmettert, worauf
er in viele Teile zersprang, die alle zu Orishas wurden. Orunmila
sammelte jedoch soviele
Teile wie er fand und setzte sie wieder zusammen; daraus wurde
Orishanla, der "große
Orisha".
Oddudua
...
gilt auf Cuba als ein Aspekt von Obatala; er war jedoch ursprünglich
der erste politische Führer der Yoruba gewesen, dessen wahrer
Name unüberliefert
blieb, der sich aber nach seiner (weiblichen) Gottheit Oduduwa
benannte. Der Legende nach löste er Obatala bei seiner Weltschöpfung
ab, nachdem dieser in Trunkenheit Mißbildungen geschaffen
hatte. In der Mythologie der Lukumí wird seitdem Oddudua
die Erde, Obatala dagegen die Luft zugeordnet. Auch Odduduas Farbe
ist Weiß.21)
Obaloke (Oke)
...
ist der Herr der schweigenden Berge und Gebirge,
der kargen, schroffen Felsmassive. Er bietet Obatala Schutz und
Zuflucht.
Dada
...
ist eine Vegetationsgottheit und Orisha der (Nutz-)Gärten.
Er war der ältere Bruder und Thronvorgänger von Changó gewesen,
der jedoch seinen Platz für ihn räumte. Er wird ikonisiert
durch einen mit Kaurimuscheln besetzten Helm (bayanni). Zudem ist
er der Orisha der Embryos,
des ungeborenen Lebens und die Schutzgottheit der Kinder mit lockigem
Haar.
Oggué (Ogé)
...
ist die Schutzgottheit der Viehherden, Orisha
der Viehzucht. Er wird symbolisiert durch das Büffelgehörn
Oyás.
Außerdem ist er der Arzt Changós und ein Kaufmann.
Korikoto
...
ist der Orisha der Kinder.
Changó (Shangó, Sàngó)
...
war der vierte
aláfin,
König und Heerführer von Oyo. Er wurde aufgrund seines
Charismas und seines kompromißlosen Wesens nach seinem
Tode zum Orisha geläutert.
Er ist die Gottheit des Feuers und der Leidenschaft, des Gewitters,
der Musik und der Trommeln. Er ist der Macho und der Casanova
unter den Orishas. Er ist
eine kriegerische Gottheit wie sein Erzfeind Ogún, doch
ist der Krieg für ihn nicht Handwerk, sondern ein Mittel
zum Sieg. Seine Farbe ist Rot, meist ausgeglichen durch Weiß.
Seine Zahl sind die 6 und die 12.
Aggayú (Aganjú, Argayú)
...
gilt als Vater oder Bruder
von Changó.22) Seine Mutter ist Oro Aina, das Feuer des
Erdkerns, und ihm gehören die Vulkane, aber auch das wilde,
unerschlossene Land, die Steppe. Er ist der archaische Fährmann,
der den Menschen durch harte Lebensphasen trägt. Seine Farbe
ist Rot, seine Zahl die 9.
Oyá (Yansa)
...
ist eine weibliche Gottheit. Sie hat die Regentschaft über
Sturm und Wind (afenfe), den Wechsel und die Transformation:
Sie wacht am Tore des Friedhofs sowie auf Warenumschlagplätzen
(Märkten). Auch Funken,
vergabelte Blitze und Elektrizität werden ihr zugeschrieben.
Ihre Zahl ist die 9, ihre Farben Braun, Ocker, Aubergin, Weinrot.
In Afrika gehört ihr
der Fluß Niger.
Obba
...
war in der Mythologie die erste und rechtmäßige Ehefrau
von Changó. Sie wurde von ihm verstoßen, nachdem
sie versucht hatte, seine ihr gegenüber schon etwas abgekühlte
Leidenschaft aufzufrischen, indem sie sich ein Ohr abschnitt
und dieses in sein Lieblingsgericht mischte.
So wurde diese(r) Orisha der Treue und Folgsamkeit, die stets
an der Seite ihres Mannes stand, Heim und Herd hütete und
für Erziehung und Ausbildung
zuständig war, zu einer verbitterten, eifersüchtigen
Frau, die bis ans Ende ihrer Tage allein blieb und sich mit Essen
tröstete. Um die Stelle
des fehlenden Ohres zu verbergen, trägt sie eine Binde um
ihren Kopf. Ihre Farben sind Gelb-Rosa, ihre Zahl die 9 (gemeinsam
mit Oyá und Aggayú).
Obba gilt auch als Orisha des Seehandels. In Afrika ist sie die
Göttin des
Flusses Oba.
Yegua (Yewa)
...
gilt als die "wahre Herrin des Friedhofs" und
regiert den physischen Aspekt des Todes. Sie ist der Orisha der
Keuschheit und Jungfräulichkeit. Rosa-Violett und Purpur sind
ihre Farben. N.B. Aróstegui
gibt als ihre Zahl die Elf an, doch existieren hierüber
unterschiedliche Angaben.
Yemayá (Yemoja)
...
ist die Gottheit des Meeres und der Mutterschaft.
Die wörtliche Übersetzung ihres Namens ist "Mutter
der Fische" und
sie wird begrüßt mit den Worten "Omío
Yemayá".
Sie ist die Schutzpatronin der Seefahrer, ihr Metall ist das
Blei, weil es das einzige Metall ist, das vom Salzwasser nicht
angegriffen
wird.
Ihr Lieblingstier ist die Ente, ihre Zahl ist die 7 und ihre
Pflanzen sind
u.a.
Algen, Eisenkraut,
Minze, Rosmarin und die Wassermelone. Ihre Farbe ist Blau,
versetzt mit Weiß,
sinnbildlich für die Schaumkronen auf dem Wasser. In Afrika ist Yemoja
eine Flußgöttin: Ihr gehört der Fluß Ogun.
Yemayá ist der Mutterarchetyp, die Urmutter, das Wesen des Meeres als
Ursprung allen Lebens. Dieser mütterliche Aspekt hat, auch auf psychologischer
Ebene, zwei Seiten, den nährend-beschützenden, sowie den vereinnahmenden.
Ochún (Oshún, Òsun)
...
ist die Aphrodite, die Venus
unter den Orishas. Sie steht für Reichtum, Wohlstand, Luxus
und das süße
Leben. Ihr Lieblings-Accessoire ist ein Fächer (abebe) aus
Federn. Ihr gehören
das Gold und das Messing; ebenso der Honig, wie auch Flüsse
und Bäche.
Die weibliche Sexualität, von der Verführung bis zur
Empfängnis,
obliegt ihrer Zuständigkeit. Ihre Lieblingsfrüchte
sind Orangen und Mandarinen. Unter den ihr zugeordneten Tieren
befindet sich vor allem der eitle
Pfau. Sie ist die Schutzheilige der Prostituierten. Ihre Farbe
ist Gelb, ihre Zahl die 5.
Es ist wichtig zu wissen, daß Ochún - bei all der Leichtigkeit
ihres Wesens - in der Kosmologie der Yoruba von außerordentlicher Bedeutung
ist. Sie ist nämlich die einzige weibliche Gottheit, die zusammen mit
den ersten 16 Irunmole von Olódùmarè auf die Erde geschickt
wurden. Ochún ist der/die siebzehnte Irunmole. Sie steht für die
Erkenntnis, daß ohne das weibliche Element kein Vorhaben von Erfolg sein
wird und kreative Prozesse zum Scheitern und Erliegen kommen.23)
Orunmila (Orula, Orunla)
...
ist der Patron des Orakels von Ifá. Er
ist der Orisha der Weisheit. Er ist der Zeuge der Schöpfung
und kennt das Schicksal, die Bestimmung alles Seienden und strebt
nach der Harmonie und dem
Gleichgewicht der Weltordnung. Seine Zahl ist die 16, seine Farben
sind Grün-Gelb.
Ende Teil III
Veröffentlicht mit Genehmigung des Autors.
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