Auch in der Anderswelt gibt
es Jahreszeiten... Teil
II
Mama sagte immer, jemanden auszulachen, sei ganz schlimm und
außerdem dumm. Aber sie fürchtete sich jedenfalls
nicht mehr, das war schon etwas. Und sie bemerkte gleich darauf
wieder eine Veränderung. Es war wieder hell, und an den
Bäumen spross zartes, grünes Laub. Was, zum Donnerdrummel,
ging hier eigentlich vor? Ilberich nahm Anna an der Hand und
führte sie zu dem kleinen Hügel, der genauso aussah,
wie das Hüterbergl zuhause. Er steckte zwei Finger in den
Mund und tat einen lauten Pfiff. Daraufhin öffnete sich
ein kleines Türchen. Seltsam, es war vorher sicher noch
nicht da gewesen, das hätte Anna beschwören können!
Es musste eine Behausung sein. Und so war es auch. Aus der Türe
trat eine rundliche Frau. Sie trug ein Kleid im gleichen Grün
wie das Gewand von Ilberich, und sie war ebenso klein wie er.
Freundlich lächelnd bat sie Anna in ihr Haus. So was! Das
war ja allerliebst! Hier drinnen standen kleine Bänke, mit
Moos weich gepolstert, ein winziger Tisch, der war fein gedeckt
mit allerlei Speisen, die Anna sehr fremd vorkamen. Die Frau
klatschte in die Hände. Da kamen fünf Wichtelkinder
zur Tür herein. Sie kicherten und zupften neugierig an Annas
Gewand, bis sie von ihrer Mutter freundlich aber bestimmt zur
Ordnung gerufen wurden.
„Kinder, sagse guten Tag zu unsere Gast und benimmse euch!“
Jedes der Kinder machte eine tiefe Verbeugung vor Anna und stellte
sich vor:
Alberich, Elberich, Olberich, das waren die Knaben und Albera und
Elbera die beiden Mädchen. Dann ging’s zu Tisch. Die
fremden Speisen schmeckten wunderbar, machten satt und warm...
und anscheinend fröhlich, denn die Wichtelfamilie holte allerliebste
kleine Instrumente hervor und begann lustige Tanzweisen zu spielen,
die Anna Lust zum Tanzen und Springen machten. Ihre Angst hatte
sie längst vergessen. Dieses niedliche Völkchen hatte
nichts, aber auch gar nichts gemein mit den schrecklichen, spuckenden
Gespenstern, die Anna eigentlich hier erwartet hatte.
Mit einem Mal aber erstarb die Musik. Es wurde dunkel und bitter
kalt im Raum. Die Wichtel hüllten sich und ihren Gast in warme
Decken und entzündeten Kerzen und ein Feuer im Kamin. Alle
drängten sich ängstlich zusammen. Draußen heulte
der Sturm wie ein wild gewordener Drache. Was in aller Welt war
das denn nur, so von einem Augenblick zum anderen? Das war ja furchterregend!
Mama Wichtel nickte verständnisvoll:
„Isse ganz often, Wichtel kennse das schon. Kommse aus Riesenland.“
Auf Annas fragenden Blick reichte sie dem Mädchen ein Holzstück
mit einem Astloch und hieß es durchsehen. Aber... was...
was war das? Das konnte doch nicht sein! Anna blickte direkt in
ihre Wohnstube daheim. Da saßen ihre Eltern und die Grosseltern.
Alle vier schienen sehr ungehalten zu sein. Vater schimpfte mit
Seppi und machte dabei sein bösestes Gesicht. Das bekam Anna
nur ganz, ganz selten zu sehen. Genau genommen hatte Papa es erst
einmal aufgesetzt, damals, als Seppi ins Eis des kleinen Teiches
hinter dem Haus eingebrochen war. Aber damals hatte die Mama ihnen
verboten, schon auf das Eis zu gehen. Es war noch viel zu dünn
gewesen, damals. Damals war Papa wirklich ganz böse gewesen,
so wie jetzt. Anna hörte durch das Astloch genau, was er sagte:
„Wo ist deine kleine Schwester? Du solltest doch auf sie
Acht geben! Kann man sich denn gar nicht auf dich verlassen? Ich
bin sehr böse auf dich und sehr enttäuscht, das kannst
du mir glauben!“
„Oh je“, rief Anna voller Schrecken aus, „ich
hab’ ganz vergessen auf daheim, die machen sich jetzt schon
Sorgen um mich. Und dabei kann der Seppi ja fast gar nichts dafür!
Ich muss schnell wieder nachhause!“
Alle Wichtel sahen Anna erwartungsvoll an. Was wollten sie nur
von ihr? Dann sagte Ilberich, der Wichtelvater ernst:
„Du binse aus Riesenland. Riesenland isse gleich neben Wichtelland,
ganz nah. Riesen machse Wetter in Wichtelland. Wennse Riesen böse
oder traurig, wennse Riesen streit, dannse Wetter in Wichtelland
kalt und dunkel, duse wiss?“
So war das also! Wer hätte so etwas gedacht! Unglaublich!
„Wirse haben hergeholt dich, duse muss wiss, was Riesen
mach mit Wichtelland, wenn sind böse.“
Das war ja eine schöne Bescherung! Sie, die Menschen waren
zuständig für das Wetter im Wichtelreich! Anna musste
das sofort daheim erzählen. Aber, würden sie ihr das
glauben? Würden sie nicht sagen: Ach, Anna, du kannst schon
wieder nicht unterscheiden zwischen Wirklichkeit und Phantasie!
Ja, gewiss, das würden sie, das sagten sie oft. Trotzdem.
Sie musste es zumindest versuchen. Das war sie ihren neuen Freunden
einfach schuldig.
Wie Anna wieder nachhause kam? Sie zog einfach den Eichelbecher
wieder vom Finger, und da war sie. Sie kam gerade noch rechtzeitig,
um Seppi vor einem längeren Hausarrest zu bewahren.
Ob es im Wichtelland jetzt weniger oft stürmisch und kalt
ist? Das hängt von euch ab. Ihr wisst ja jetzt, wie man schönes
Wetter macht. Und noch etwas: manchmal muss es auch im Wichtelland
regnen. Macht euch also nicht zu viele Sorgen, wenn ihr einmal
weinen müsst. Davon gibt es dort noch keine Überschwemmung.
Und noch etwas: vielleicht findet ihr einmal ein Stück Holz
mit einem kleinen Astloch. Dann könnt ihr versuchen, ob ihr
damit ins Wichtelreich gucken könnt und wie das Wetter dort
gerade ist.
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